Geschlechter_debatten_kultur

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Eigentlich wollte ich gar keinen Text zum aktuellen Profil-Aufreger schreiben. Denn dass Gernot Bauer und Robert Treichler eine ernsthafte Diskussion über Lohnungleichheiten zwischen Männern und Frauen führen wollen, das kaufe ich ihnen nicht ab. Wäre das ihre Absicht gewesen, so hätten sie wohl nicht Studien, die seit Jahren auf dem Tisch liegen, als sensationelle Enthüllung verkauft, nicht so einseitig recherchiert/zitiert und – was hier wohl am meisten von Bedeutung ist – ihren Text nicht als polemischen Rundumschlag gegen Frauenpolitik und Feminismus angelegt.

Ja, welche Zahlen in welchen Slogans verwendet werden, darüber kann mensch diskutieren. Die Bewusstseinsarbeit zum  „Gender Pay Gap“ zählt klar zu den Erfolgen frauenpolitischer Lobbyarbeit: Dass Frauen und Männer gleich viel für gleichwertige Arbeit verdienen sollen und es ungerecht ist, wenn Frauen dafür weniger Geld bekommen, darüber herrscht ein (zumindest öffentlich zelebrierter) Konsens quer durch alle Lager. Dass Interessensvertretungen eher Zahlen/Studien/Umfragen verwenden, die ihrem Zweck dienen, sollte auch hinlänglich bekannt sein. Und trotz der erfolgreichen Öffentlichkeitsarbeit hat sich realpolitisch wenig getan: Eine zaghafte (wenn auch vermutlich hart erkämpfte) Regelung zu einer Offenlegung von Gehältern soll ein erster Schritt in Richtung mehr Einkommensgerechtigkeit in Österreich sein.

Den „Fakten“ im Profil-Artikel muss ich mich an dieser Stelle gar nicht widmen. Genügend intelligente Frauen haben bereits Zeit in Texte investiert, die über diverse Achsen der Ungleichheit und Ungerechtigkeit aufklären (hier, hier, hier und hier). Wieder einmal müssen Feministinnen als sachkundige Lehrerinnen auftreten, die er- und aufklären – weil mensch manches einfach nicht so stehen lassen kann.

Am 4. Februar 2008 titelte das Profil noch: „Die betrogene Frau. Die Einkommensunterschiede zwischen Mann und Frau werden größer, die Karrierechancen schlechter. Nur in Österreich. Was läuft anders als im Rest Europas?“ Vier Jahre später ist man(n) in der Profil-Redaktion offenbar klüger geworden. Stimmt alles nicht. Doch nicht. Und deshalb ist jetzt von „Mythen“ die Rede, von einer „Folklore“ und dem „ewigen Opfer Frau“. Diese Sprache ist mir aus dem männerrechtlichen Kontext bekannt (wo der Artikel gerade abgefeiert wird). Und hier sind wir an dem Punkt angekommen, an dem ich beginne, mir Sorgen um die mediale (!) Gechlechterdebatte zu machen.

Denn männerrechtliche Positionen wurden in den vergangenen Jahren in den Massenmedien mehrfach prominent platziert. Sie sind im Spiegel zu finden, in der FAZ, der Zeit und immer öfter im Profil (was unter anderem an Chefredakteur Christian Rainer liegen könnte). Auch im Standard durfte Walter Hollstein zum 100. Internationalen Frauentag seine Thesen über kranke und kriminelle Kinder von Alleinerzieherinnen ausbreiten.

Vor einigen Wochen habe ich ein Interview mit einem Sozialpsychologen geführt, der zu Antifeminismus und Misogynie forscht (mehr dazu in der April-Ausgabe der an.schläge). Der Psychoanalytiker sieht aktuell eine Art gesellschaftliches Vakuum, das entstanden sei, weil der Feminismus als sozialpolitische Bewegung nicht mehr in dieser Kraft und Intensität bestehen würde. Dieses Vakuum wird dann mit solchen Positionen gefüllt: Man(n) hat das Gefühl, endlich das „Unbehagen“ äußern zu können, das zuvor zurückgehalten werden musste. Autoren wie Hollstein oder Amendt sind die Wegbereiter, die von (heimlichen oder offenkundigen) Sympathisanten in männlich dominierten Redaktionen eine Plattform geboten bekommen.

Und damit gelingt tatsächlich eine „Enttabuisierung“. Die Positionen werden in den Mainstream befördert, sind nicht mehr die fragwürdigen Thesen einzelner Vertreter kleiner (!) Gruppierungen, sondern lösen breite Debatten aus. Natürlich darf das Phänomen nicht auf ideologische Grabenkämpfe reduziert werden: Solche Geschichten verkaufen sich. Die übertriebene Rhetorik, die maßlose Selbstüberschätzung, die Aggressivität und die einfachen Lösungen lassen sich medial exzellent vermarkten, das wissen wir in Österreich, seit die FPÖ auf der Bildfläche erschienen ist. Hinzu kommt der Umstand, dass Qualitätsmedien, in denen differenzierte Diskussionen stattfinden, so gut wie nicht existieren. Im Gegensatz zu Deutschland mangelt es uns hier an einer Diskussionskultur, die Debatten abseits von „Wer hat hier die Hosen an“ hervorbringt (Ö1 gehört gehört!).

Schlussendlich werden Männer, die sich seit drei Monaten in einem männerrechtlichen Verein engagieren oder sich professionell in rechter Kampfrhetorik üben, medial als Gegenstück zu „dem Feminismus“ präsentiert. Frauenpolitikerinnen oder Wissenschafterinnen, die sich seit Jahrzehnten mit politischen Realitäten und theoretischen feministischen Konzepten auseinandersetzen, müssen dann in TV-Formaten mit Männern diskutieren, die meinen, dass Frauen in Wirklichkeit über mehr Vermögen verfügen, weil sie das Geld ihrer Männer beim Shopping ausgeben. Progressive Männlichkeitsforscher, die ein ernsthaftes Interesse an einer Neuverhandlung von Männlichkeiten haben und sich kritisch mit Privilegien befassen, kommen ebenfalls selten zu Wort. Und auch auf der feministischen Seite sind es oft medial aufgebaute prominente Persönlichkeiten, die (gewollt oder ungewollt) immer wieder als Referenzfiguren zitiert werden und von denen sich viele Feminist_innen nicht vertreten fühlen.

Wenn ich also „Geschlechterdebatten“ in den (österreichischen) Medien verfolge, beschleicht mich häufig das Gefühl, in Parallelwelten zu leben. Und es sind viele Parallelwelten, in denen ich mich da bewege. Ich verbringe jede Woche mehrere Stunden in frauenpolitischen/feministischen Organisationen, ich studiere Gender Studies, besuche und organisiere queer-feministische Veranstaltungen, beteilige mich an feministischen Online-Debatten, besuche Männer-Tagungen und interviewe Männlichkeitsforscher_innen. Allein in diesen verschiedenen Kontexten finden Debatten statt, deren Komplexität und Vielfalt ich hier unmöglich abbilden kann.

Ja, gerade akademische Diskurse beschränken sich zum Teil auf einen elitären Zirkel und wer sich noch nie mit der Sprechakttheorie und französischem Differenzfeminismus auseinandergesetzt hat, wird Judith Butler (Feminist Superstar) nur schwer verstehen können. Aber wenn sich die  Öffentlichkeit vor Aufregung überschlägt, wenn Begriffe wie „Heteronormativität“ und „Intersektionalität“ fallen, zeigt sich hier für mich die übliche heimische Intellektuellenfeindlichkeit – gerne begleitet von einer (latent) antifeministischen Polemik. Dass sich aus „dem“ Feminismus ein komplexes theoretisches Gebäude entwickelt hat, ist eine positive Entwicklung. Auch wenn sich hier wieder zahlreiche Ansatzpunkte für Kritik (etwa am Verhältnis Wissenschaft – Frauenbewegung) identifizieren lassen, so analysieren Geistes- und Sozialwissenschafter_innen doch komplexe gesellschaftliche Verhältnisse, die sich mit Begriffen wie „Mann“, „Frau“ und „Diskriminierung“ nicht hinreichend theoretisieren lassen. Selbst Zyniker_innen, die geisteswissenschaftliche Texte gerne als „leeres Geschwätz“ titulieren, werden die Bedeutung etwa der Philosophie und der Geschichtswissenschaft nicht leugnen können.

Nun gut, die Geschlechterdebatte/der Feminismus stehen in Österreich nicht allein da: Differenzierte politische Debatten über Migration, Flucht und Asyl, über eine Verteilungsgerechtigkeit und den verunstalteten Leistungsbegriff finden ebenso nicht bzw. nur in Spartenkanälen statt. „In der Hitze des Gefechts haben Männer wie Frauen aber vergessen, dass die gesellschaftliche Realität längst andere Prioritäten setzt. Angesichts der verschärften Wirtschaftslage und eines in die Knie gehenden Mittelstands wird der Geschlechterkrampf von einem neuen Klassenkampf verdrängt werden“, schreibt Angelika Hager im aktuellen Profil. Diesem Befund kann ich grundsätzlich nur zustimmen, und trotzdem ändert das nichts daran, dass die Kategorie Geschlecht eine der zentralen Diskriminierungsachsen darstellt.

Sexismus, Rassismus und Homophobie müssen immer wieder aufs Neue identifiziert und angeprangert werden. Entwürfe einer „post-(…)“-Gesellschaft entspringen hingegen einer gewollten Ignoranz oder sind einem utopischen Fantasiereich zuzuordnen. Denn auch, wenn wir uns über viele positive Entwicklungen freuen können, so erfahren Betroffene sexualisierter Gewalt noch immer Schuldzuweisungen. Frauen leisten noch immer den Großteil der unbezahlten Arbeit, Migrant_innen arbeiten häufig in unterbezahlten Bereichen und/oder verfügen über keine rechtliche Absicherung und noch immer passiert homophobe und rassistisch motivierte Gewalt.

Neuigkeitswert hat das natürlich nicht. Und mit griffigen bzw. emotionalen Schlagworten lässt sich das auch nicht (differenziert) darstellen. Da fragen wir doch lieber, wer die Hosen anhat. Oder decken ein paar Mythen auf.

 

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brigittethe

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