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Trippelschritte

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Nun ist es also fix: Neben den großen Söhnen werden wir künftig auch die großen Töchter Österreichs in unserer Bundeshymne würdigen. SPÖ, ÖVP, Grüne und angeblich auch das BZÖ werden die Textänderung im Herbst beschließen, allein die FPÖ spricht sich aufgeregt gegen Töchter in der Hymne aus.

Die symbolische Anerkennung, die Frauen damit zugestanden wird, ist gut und wichtig – Sprache schafft Bewusstsein. Dass dieser Entscheidung jahrelange Diskussionen und innerparteiliche Widerstände vorangegangen sind, sagt viel über Frauenpolitik in diesem Land aus. Zuletzt löste die Hymne im Jänner 2010 hitzige Debatten aus, als das Unterrichtsministerium mit einer veränderten Version und österreichischen Töchtern für die Bildungsreform warb. Schon damals wurde Maria Rauch-Kallat von ihren Parteikollegen zurecht gewiesen: „Wir haben andere Probleme“, hieß es da. Ihre Forderung hatte die einstige Frauenministerin bereits 2005 eingebracht.

Als Rauch-Kallat vergangene Woche den Antrag auf eine Änderung der Hymne erneut im Parlament einbringen wollte, kam sie nicht zu Wort, weil die ÖVP-Männer die gesamte Redezeit mit ihren Mandataren beanspruchten. Nach langem Hin und Her lenkte Spindelegger doch ein, ÖVP-Frauensprecherin Schittenhelm konnte so gemeinsam mit SPÖ und Grünen die geplante Neufassung auf einer Pressekonferenz präsentieren.

Und über diese Änderung dürfen wir uns nun freuen: Es ist offensichtlich ein kleinster gemeinsamer Nenner, den die österreichischen Parteien (mit Ausnahme der FPÖ) in Sachen Frauenpolitik gefunden haben. „Das ist ein historischer Moment“, meinte Judith Schwentner, Frauensprecherin der Grünen – womit sie vermutlich recht hat.

Was bedeutet heteronormativ?

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Die Österreichische HochschülerInnenschaft hat vor wenigen Wochen das „Café Rosa“ in der Währinger Straße eröffnet  – Studierende sollen hier ohne Konsumzwang verweilen können. Dass in der Beschreibung des Lokals Wörter wie „antisexistisch“ oder „antiheteronormativ“ zu finden sind, hat tatsächlich für Aufregung gesorgt, insbesondere im Umfeld der AG (Aktionsgemeinschaft) und des RFS (Ring Freiheitlicher Studenten) ortet mensch ein „ideologisches Café“, das viele Leute ausschließen würde.

Die AG hat sogar eine eigene Website online gestellt, die gegen das Studibeisl wettert. Auf der Facebook-Fanseite ist dazu zu lesen: „Mit 400.000 Euro aus unseren ÖH-Beiträgen finanziert die GRAS/VSSTÖ-ÖH ein Polit-Propaganda-Beisl (…) mit abstrusen Zugangsbeschränkungen (Zitat: ‚antiheteronormativ‘).“ In entsprechenden Foren wird sogar gerätselt, ob „antiheteronormativ“ nicht bedeuten würde, dass Männer keinen Zugang zum Café haben.

Nun, die AG scheint darauf zu setzen, dass „antiheteronormativ“ allen, die das Wort nicht kennen, den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Was bedeutet jetzt aber „heteronormativ“ bzw. „antiheteronormativ“?

„Heteronormativität als Struktur beschreibt den Sachverhalt der unsichtbar und selbstverständlich gewordenen Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit sowie ihre Bedeutung in und für gesellschaftliche(n) Institutionen“, schreibt Nina Degele. Peter Wagenknecht skizziert den zentralen Begriff der Queer Studies folgendermaßen: „Die Heteronormativität drängt die Menschen in die Form zweier körperlich und sozial klar voneinander unterschiedener Geschlechter, deren sexuelles Verlangen ausschließlich auf das jeweils andere gerichtet ist. Heteronormativität wirkt als apriorische Kategorie des Verstehens uns setzt ein Bündel von Verhaltensnormen. Was ihr nicht entspricht, wird diskriminiert, verfolgt oder ausgelöscht (so in der medizinischen Vernichtung der Intersexualität) (…).“

Antiheteronormativ bedeutet also nicht, dass Männer* oder heterosexuelle* Menschen das Café nicht betreten dürfen. Wenn es in einem Lokal, im Kino oder im Freibad Angebote für Paare oder Familien gibt, die nur in Anspruch genommen werden können, wenn es sich um einen Mann* und eine Frau* handelt, dann ist das heteronormativ. Solche Dinge werden also im Café Rosa nicht zu finden sein und auch der Umstand, dass es Wickeltische auf dem Frauen- und Männerklo gibt, ist in gewisser Weise antiheteronormativ. Und: homosexuelle Paare werden bestimmt nicht aus dem Lokal verwiesen werden, wenn sie sich dort küssen (was schon in verschiedenen Wiener Lokalen passiert ist). „Die ÖH zeigt uns, was für ein totalitärer Gesinnungsterror da auf die Gesellschaft zukommt“, schreibt dazu Andreas Unterberger auf seinem Blog.

Link Café Rosa
Café Rosa auf Facebook

Gemeinsame Obsorge

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Ich bin gegen eine automatische Gemeinsame Obsorge, wie sie Justizministerin Bandion-Ortner umsetzen möchte. Dieser Standpunkt lässt sich meiner Ansicht nach recht einfach begründen. Noch immer wird ein Großteil der Haus- und Pflegearbeit, der Kindererziehung von Frauen geleistet – eine automatische Gemeinsame Obsorge würde also nicht der gesellschaftlichen Realität gerecht werden. In rund 90 Prozent der Fälle einigen sich die Eltern zudem einvernehmlich auf ein Obsorge-Modell, Streitigkeiten rund um das Sorgerecht gibt es nur bei zehn Prozent der Paare. In diesem Sinne sollten als Einzelfälle also individuell überprüft werden – gerade auch, weil Scheidungen unter anderem aufgrund von Gewalt in der Familie eingereicht werden.

Was wir in Österreich jedoch dringend nötig hätten, ist eine Debatte um die Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit und neue Modellen einer aktiven Vaterschaft. „Natürlich ist die Obsorge Teil einer aktiven Vaterschaft. Allerdings wird diese Vaterschaft vor der Geburt, während der Geburt und nach der Geburt geformt. Ihr Kennzeichen ist die väterliche Präsenz für Mutter und Kind. Wenn man bedenkt, dass in Österreich der Karenzväteranteil magere 4 Prozent beträgt und nur eine verschwindende Minderheit von Männern für die Betreuung ihrer Kinder ihren Beruf auf Teilzeitarbeit reduziert, wird erkennbar, dass die väterliche Präsenz in Österreichs Haushalten sehr gering ist“, meinte dazu der Sozialwissenschafter Erich Lehner im diestandard-Interview.

Eine solche Debatte ist aber offensichtlich nicht erwünscht, sondern geht in eine ganz andere Richtung; das zeigt die Art und Weise, wie und mit welchem Vokabular über das Thema gesprochen wird. Dass es bei der Obsorge immer um möglichst ideale Bedingungen für die betroffenen Kinder geht, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Viele Befürworter_innen (und auch einige Gegner_innen) der Gemeinsamen Obsorge überschlagen sich jedoch förmlich in der Bemühung, ihre Sorge um das „Kindeswohl“ zu formulieren.

Klaus Küng, Diözesanbischof in St. Pölten, durfte im „Standard“ ein Kommentar mit dem Titel „Zeichen der Hoffnung zum Wohle des Kindes“ veröffentlichen. Küng hat Bedenken aufgrund der vielen Trennungen, die heutzutage ganz leichtfertig vollzogen würden. „Doch: Die allermeisten Kinder sehnen sich nach einem Leben mit Vater und Mutter – auch wenn es Schwierigkeiten gibt, auch wenn Spannungen und Streit auszuhalten sind.“ Die Gemeinsame Obsorge ist für ihn der erste Schritt in die richtige Richung: „In einer zunehmend vaterlosen Gesellschaft ist es ein Zeichen der Hoffnung, dass Väter auch einseitig gemeinsame Obsorge beantragen können; vielleicht realisieren sie dann, dass der Vater mindestens gleich viel zum Glück des Kindes beitragen kann und muss.“

Was lesen wir hier also im Subtext? Scheidungen sind furchtbar (für die Kinder) und Kinder brauchen einen Vater, um glücklich aufwachsen zu können – egal, unter welchen Bedingungen. Schuld sind also die Eltern. Und wenn wir ganz ehrlich sind: die Frauen. Und was man(n) dann vielleicht nicht mehr auszusprechen wagt: Hat nicht der Feminismus die Institution der Ehe zerstört? Lassen sich Frauen heutzutage nicht wegen jeder Kleinigkeit scheiden und zerstören damit die Familie?

Immer wieder werden solche Untertöne in Debatten um Familie (=Mutter-Vater-Kind) eingebracht und stellen so den langen Kampf der Frauenbewegung in Frage, der die Eigenständigkeit von Frauen und den Ausstieg von Frauen aus Gewaltbeziehungen vorangetrieben und erleichtert hat. Und das alles natürlich nur zum Wohle des Kindes.

„Das Gefühl, dem Kind gegenüber auch weiterhin ein Mitspracherecht zu haben, verhindert, in eine Position der Ohnmacht und Frustration zu kommen. Der Vater fühlt sich nicht plötzlich entrechtet, es besteht kein Grund, hilflos ‚um sich zu schlagen‘, die Mutter sieht sich keinen Angriffen ausgesetzt, die Alimente treffen regelmäßiger ein, das Vertrauen wächst“ – so argumentiert Anton Pot0tschnig, Obmann des Vereins „Doppelresidenz“, die Gemeinsame Obsorge im „Standard“ und bezeichnet sie zugleich als einen „emanzipatorischen Schritt für Frauen und Männer“. Quergelesen werden hier also gewalttätige Reaktionen und unterschlagene Zahlungen von Vätern legitimiert – so sehe das eben aus, wenn Männer kein Mitspracherecht haben.

Interessant ist auch, das Menschen, denen eine „vaterlose Gesellschaft“ schlaflose Nächte bereitet, meist nur gesetzlich fundierte Mitspracherechte von Vätern im Visier haben. Sollte es nicht viel eher ihr Ziel sein, an einem neuen, emanzipatorischen Männerbild zu arbeiten, das väterliche Beteiligung an Haus- und Pflegearbeit miteinschließt und somit eine intensive Bindung zu Kindern von der Geburt an ermöglicht? Gerade so könnte das vorherrschende „Ein Kind gehört zur Mutter“ aufgeweicht werden. Zumindest Justizministerin Bandion-Ortner scheint dies kein Anliegen zu sein. Gemeinsame Obsorge – „Auch wenn der Vater erst einige Jahre später draufkommt, dass er für das Kind Verantwortung übernehmen will. Bei manchen Vätern dauert es einfach etwas länger“, sagte sie im Interview mit dem „Standard“. Das implizite Familienmodell stellt sich im traditionellen Sinne hier also folgendermaßen dar: Die Mutter kümmert sich um das Kind, der Vater entscheidet (mit), was das Beste ist. „Wer bezahlt, soll auch ein Mitspracherecht haben“, ergänzte dazu Ursula Haubner vom BZÖ.

Donna Haraway

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Wer an der European Graduate School, einer Schweizer Privatuniversität studiert, kann sich glücklich schätzen. Regelmäßig gehen dort die internationalen „Stars“ der Sozial- und Geisteswissenschaften (Butler, Haraway, Virilio, Zizek…) ein und aus und diskutieren mit den Studierenden über ihre Arbeit. Für alle, die nicht dem elitären Zirkel angehören, gibt es zum Glück Videoaufzeichnungen der verschiedenen Vorträge. Hier ein Vortrag von Donna Haraway, der Autorin des berühmten „Cyborg Manifesto“ – schnelle akademische Bildung für zwischendurch:

Gewalt-Ballade

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Zugegeben, was (MTV-) Popmusik betrifft, bin ich nicht gerade auf dem neuesten Stand. Deshalb kannte ich auch bis vor einigen Wochen den Gassenhauer „Love the Way You Lie“ von Eminem und Rihanna nicht. Untergekommen ist mir der Song schließlich auf Youtube, wo er seit der Veröffentlichung im vergangenen August unglaubliche 250 Millionen Mal aufgerufen wurde.

Welche Geschichte in dieser „Rap-Ballade“ (wie nennt man denn so ein Werk, Musikjournalist_innen, bitte weiterhelfen!) erzählt wird, ist mir erst beim zweiten Mal Hören aufgefallen. Angeblich ist es die Geschichte einer schwierigen Beziehung, einer „Hassliebe“. „The rapper wrote his new single with featured singer Rihanna in mind, and he chillingly alludes to her troubled relationship history in his rhymes“, schreibt Billboard.com. „Her troubled relationship“ ist vermutlich den meisten von euch aus den Medien bekannt: Ihr Exfreund Chris Brown verprügelte die Sängerin mehrfach, bis er schließlich vor Gericht landete.

Die Aufarbeitung einer gewaltätigen Beziehung kommt in „Love the Way You Lie“ jedoch äußerst zweifelhaft daher.
„All I know is
I love you too much
To walk away though
Come inside
Pick up your bags off the sidewalk
Don’t you hear sincerity
In my voice when I talk
Told you this is my fault
Look me in the eyeball
Next time I’m pissed
I’ll aim my fist
At the dry wall“,
rappt Eminem reuemütig, während im Video ein junges Paar gezeigt wird, dessen Streit in körperlicher Gewalt endet:

Doch schon in der nächsten Szene liegen sich die beiden wieder in den Armen, trotz aller Probleme können sie nicht voneinander lassen. „True love hurts“, lautet hier die Botschaft, kritisieren amerikanische Blogger-Kolleginnen. Verstärkt wird dies durch Rihannas Part, sie singt im Refrain:
Just gonna stand there
And watch me burn
But that’s alright
Because I like
The way it hurts
Just gonna stand there
And hear me cry
But that’s alright
Because I love
The way you lie
I love the way you lie.“


Nun gut, das Ganze könnte man auch als selbstkritische Aufarbeitung mit Bezug zur Realität einstufen – auch Rihanna kehrte zu ihrem gewalttätigen Freund zurück, bevor sie sich endgültig von ihm trennte. Der Song endet jedoch mit folgender Pointe:
„If she ever tries to fucking leave again
I’mma tie her to the bed
And set the house on fire.“
Somit wird auch klar, warum Rihanna im Video vor einem brennenden Haus steht – der Bezug zum realen Leben fällt hier jedoch zu grausam aus, immerhin passiert es tatsächlich immer wieder, dass Ehemänner das Haus ihrer Familie oder gar ihre Frau anzünden, etwa weil diese sie verlassen wollte (Berichte z.B. hier und hier). Insofern wird Rihannas Refrain dann doch irgendwie brutal zynisch und der Song zur Gewalt-Ballade. Oder verstehe ich da etwas falsch? „Ultimately, the song was something Rihanna felt was in line with her past relationship. ‚The lyrics were so deep, so beautiful and intense. It’s something that I understood, something I connected with“, sagt Rihanna.

Interview: Binnen-I, Unterstrich und Sprachreinheit, Teil 1

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Die Denkwerkstatt Interview-Reihe geht in die nächste Runde – diesmal haben wir die Literaturwissenschafterin Anna Babka getroffen, um mit ihr über die Effekte von Sprache und geschlechtersensibles Formulieren zu sprechen.

Du bist eine glühende Verfechterin der gendersensiblen Sprache – warum? Was bringt uns das Binnen-I?

Es bringt uns wahnsinnig viel, weil es unser Bewusstsein verändert. Es geht dabei immer um zwei Dinge: Sichtbarmachen und Symmetrie. Indem man Frauen über die Sprache sichtbar macht, verändert man ihre Realität – weil Sprache performativ ist und das, was sie beschreibt, hervorbringt. Es ist rein theoretisch gesehen ein einfach erklärbarer Effekt. Insofern kann man das auch ganz einfach argumentieren. Sprache bildet schließlich nicht nur ab, sie kreiert, sie handelt.

Kannst du das anhand eines Beispiels näher erläutern?

Machen wir es gleich an der Geschlechterdifferenz fest: Wenn ein Kind geboren wird, dann sagt die Ärztin oder der Arzt: „Das ist ein Junge“ oder „Das ist ein Mädchen“. Wäre dieser Sprechakt nicht getan, dann existierte dieser Mensch nicht einfach als männlich oder weiblich. Der Sprechakt hat natürlich eine gewisse Referenz, aber die ist nicht ausschlaggebend, weil einfach von den primären Geschlechtsorganen ausgegangen wird. Und würden wir diesen Sprechakt nicht ein Leben lang fortsetzen und ihn dann auch performativ ausfüllen – über Kleider, den Habitus, Gesten – dann würde man nicht wissen, dass wir Männer oder Frauen sind.

Dieser performative Akt ist absolut notwendig, er zitiert etwas, das vorgängig ist, aber was sich nicht auf ein Original bezieht, sondern auf einen Diskurs. Die Auffassung darüber, was Männer und Frauen sind, verändert sich schließlich historisch gesehen laufend, im 18. Jahrhundert gab es noch das Einfleischmodell, das mehr oder weniger davon ausging, dass Männer und Frauen sich nur dadurch unterscheiden, dass Männer bestimmte Organe ‚außen‘ tragen, die Frauen diese im Körper tragen. Dieses Modell ist im 18. Jhrdt. in das Zweifleischmodell übergangen und dort wurde der weibliche Körper pathologisiert. Zum Beispiel hat man über die Gebärmutter verschiedene Zuschreibungen vorgenommen. Dabei handelt es sich aber um einen diskursiven Effekt, der nicht auf einer biologischen Grundlage basiert, sondern auf der sprachlichen Interpretation biologischer Gegebenheiten. Wer sagt uns, was dieser Unterschied tatsächlich ausmacht? Er muss in eine Geschichte gepackt werden, sonst hätte er überhaupt keinen Effekt, keinen Belang. Oder mit Judith Butler gesprochen: Sex wird immer schon Gender gewesen sein…

Wir müssen uns also permanent selbst daran erinnern, dass wir ein Geschlecht „haben“?

Stefan Hirschauer, ein deutscher Soziologe, hat das einmal sehr schön formuliert. Er geht auch von diesem ersten performativen Sprechakt aus und er sagt: Würde diese Information in ein Archiv eingeschlossen und nie mehr herausgeholt werden, dann würden wir vergessen, dass dieser Mensch ein Mann oder eine Frau ist. Also es ist absolut notwendig, die Binarität in einem wiederholten Akt immer wieder herzustellen und festzuschreiben.

In der Frage der Intersexualität wird diese Binarität auch ganz stark in Frage gestellt – das ist der Punkt, wo der Unterstrich als geschlechtersensible Schreibweise ins Spiel kommt (z.B. Student_innen, Anm. d. R.). Für Personen, die sich nicht in die eine oder andere Richtung zuordnen können oder möchten. Das ist sozusagen der neueste Zugang – alle existierenden und möglichen Geschlechter im Unterstrich zu vereinen. Das kann man mögen oder nicht, es macht jedenfalls Sinn. Ich selbst verwende das Binnen-I, das ist mittlerweile auch eine institutionalisierte Schreibweise. Allerdings finde ich es in Ordnung, den Unterstrich zu verwenden und kann ihn als theoriegeleiteten Eingriff in die Sprache auch nur unterstützen.

Ist gendersensible Sprache in Diplom- und Seminararbeiten, die von dir beurteilt bzw. betreut werden, ein Muss?

Ja, ich verlange das in Diplom- und auch Seminararbeiten und mir ist dabei egal, welche Schreibweise verwendet wird. Warum man darüber noch streiten muss, verstehe ich überhaupt nicht. Ich würde das auch wirklich als Grundanforderung für wissenschaftliches Arbeiten einführen. Mittlerweile wird geschlechtersensible Sprache von offiziellen Stellen verwendet, es gibt Leitfäden für geschlechtergerechtes Formulieren vom Bundesministerium, weil das ja auch gesetzlich verankert ist innerhalb des Gender Mainstreamings. Der öffentliche Diskurs muss so funktionieren.

Das Argument, dass die Sprache damit verunstaltet wird, ist lächerlich. So als gäbe es die richtige Sprache oder die schöne Sprache. Wer sagt, was Sprache wirklich sein soll? Das legen wir SprachbenutzerInnen fest und das ist ein extrem dynamischer Prozess. Der Duden hinkt dieser Dynamik hinterher. Schön ist eben, dass es mittlerweile aufgrund des europaweiten Gender Mainstreamings in der Union rechtlich verankert ist und man deshalb eigentlich nicht mehr darüber diskutieren muss.

Erlebst du an der Universität Wien Widerstand gegen geschlechtergerechte Sprache?

Ja, auch am Institut für Germanistik gibt es diesen Widerstand. Nicht nur, aber auch. Da werden dann irgendwelche Beispiele herangezogen, wo das Formulieren mühsam wird. Aber ich glaube, wenn jemand in der Lage ist, zu schreiben und Texte zu formulieren, dann ist er oder sie auch kreativ genug, dafür eine Lösung zu finden. Und wenn man sich nicht auskennt, dann schaut man eben in diesen offiziellen Leitfäden nach, die an vielen Stellen vorhanden sind. Ich kann mittlerweile gar keinen Text mehr lesen, der nicht gendersensibel formuliert wurde. Ich verstehe ihn auch nicht mehr, ein solcher Text wirkt mir unverständlich. Weil er nicht deutlich macht, worum es geht und wer gemeint ist.

Das nächste Mal in Teil 2: Warum Michael Fleischhacker ein Problem mit Gerechtigkeiten hat und die Biologie keine guten Argumente liefert.

Anna Babka ist Literaturwissenschaftlerin am Institut für Germanistik in Wien mit Schwerpunkten in Literaturtheorie, Gender Studies und Postcolonial Studies. Link zur Website

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