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Raewyn Connell im Interview – Teil 2

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Raewyn Connell gilt als eine der Mitbegründerinnen der akademischen Männlichkeitsforschung, ihr Werk „Masculinities“ (1995) ist das meistzitierte in diesem Feld. Derzeit lehrt die Soziologin an der Universität von Sydney, wo sie einen Lehrstuhl für Erziehungswissenschaften innehat. Auf der „Männertagung“ 2011, die Ende Oktober in Graz (Österreich) stattfand, sprach sie mit mir über ihr Konzept der „Hegemonialen Männlichkeit“, rechtskonservative Strömungen innerhalb der Männlichkeitsforschung und skrupellose Manager.

Raewyn Connell

Sehen Sie Männlichkeitsforschung als eine eigene Disziplin? Sollte sie ein integrierter Bestandteil der Gender Studies / Geschlechterforschung sein oder sollte es eine unabhängige Finanzierung dafür geben?

Ich hege keinerlei Zweifel darüber, dass Männlichkeitsforschung ein Teil der Gender Studies ist. Wenn man sie von den Gender Studies trennt, so verliert man auch einen großen Teil des intellektuellen Potentials. Und was ist Männlichkeit anderes als geschlechterbezogene Fragestellungen in Bezug auf Männer? Es macht überhaupt keinen Sinn, über Männlichkeit zu sprechen, ohne von Gender zu sprechen.

Es ist im Grunde also intellektuell nicht vertretbar, Männlichkeitsforschung als eigene Disziplin etablieren zu wollen. Es darf aber nicht vergessen werden, dass es hier einen wesentlichen Unterschied zur Frauenforschung gibt. Für die Bezeichnung „Frauenforschung“ gab es gute politische Gründe – es ging um die Kritik einer patriarchalen Ideologie im System der Wissensproduktion, schließlich war die gesamte Wissenschaft männlich geprägt. In gewissem Sinne hat es also schon immer „Männerforschung“ gegeben, all unsere Geschichtsbücher sind voll von Erzählungen über Könige und Generäle. Die Idee der Frauenforschung war es, diese Kluft, dieses Defizit in der Wissensproduktion zu benennen und zugleich ein Alternativkonzept anzubieten. Der Name „Frauenforschung“ war also Teil eines politischen Akts.

Die Männerforschung oder Männlichkeitsforschung hat nun aber natürlich nicht diesen Charakter, denn Männer sind schon immer im Zentrum der Wissenschaften gestanden. Wenn du dich mit Männern auseinandersetzt, dann erforschst du die dominante Gruppe innerhalb einer patriarchalen Gesellschaft. Ich selbst habe eigentlich nie die Bezeichnung „Männerforschung“ verwendet. Aber weil sich eben dieser Begriff durchsetzte, konnten sich ihn auch reaktionäre Gruppen aneignen, die sagten: Seht her, Frauen haben jetzt die Frauenforschung, Lehrstühle und Ressourcen und Männer sind davon ausgeschlossen – natürlich konnten sie das nur sagen, weil sie die tatsächliche Realität ignorierten.

Aber rechtskonservative Strömungen scheren sich eben nicht besonders um die Wahrheit, sondern vielmehr um den emotionalen Effekt. Es gibt also leider eine Art rechtskonservative Version der Männerforschung, die Männer als Opfer konstruiert, Jungen als Opfer ihrer Lehrerinnen und geschiedene Männer als Opfer von Feministinnen.

Sie arbeiten zurzeit gerade an einem Forschungsprojekt über die Biographien von Managern. Manager und ihre Entscheidungen sind im Zuge der Finanzkrise auch in den Medien zu einem beliebten Thema geworden. Aber obwohl über 90 Prozent der Manager Männer sind, wird nur wenig über geschlechtsspezifische Faktoren der Krise gesprochen. Ist die Finanzkrise eine „männliche“ Krise oder gar eine Krise der Männlichkeit?

Weder noch, es ist eine Krise des Finanzsystems, die von bestimmten Gruppen skrupelloser, profitgieriger Männer verursacht wurde. Diese Männer repräsentieren eine besonders schädliche Version hegemonialer Männlichkeit. Aber es handelt sich um keine Krise der Männlichkeit, denn diesen Männern geht es ziemlich gut, nur wenige von ihnen sitzen mittlerweile im Gefängnis. Die meisten haben ihr Geld gerettet und machen weiter wie bisher, bekommen ihre Boni und ihre Profite.

Es ist also keine Krise der Männlichkeit, es ist eine Krise, die von Menschen verursacht wurde, die sehr viel Macht und wenig soziales Verantwortungsgefühl haben. Männlichkeit ist in diesem Fall relevant, um besser verstehen zu können, was hier eigentlich passiert ist.

Dieses Interview ist bereits  in der Dezember-Ausgabe der Zeitschrift “an.schläge” erschienen.

Raewyn Connell im Interview – Teil 1

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Raewyn Connell gilt als eine der Mitbegründerinnen der akademischen Männlichkeitsforschung, ihr Werk „Masculinities“ (1995) ist das meistzitierte in diesem Feld. Derzeit lehrt die Soziologin an der Universität von Sydney, wo sie einen Lehrstuhl für Erziehungswissenschaften innehat. Auf der „Männertagung“ 2011, die Ende Oktober in Graz (Österreich) stattfand, sprach sie mit mir über ihr Konzept der „Hegemonialen Männlichkeit“, rechtskonservative Strömungen innerhalb der Männlichkeitsforschung und skrupellose Manager.

Raewyn Connell
Foto: Männertagung Graz

Bücher wie „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“ erfreuen sich seit Jahren großer Beliebtheit und auch in den Medien sind (angebliche) Geschlechterunterschiede ein Dauerbrenner. Sie haben solche Publikationen in ihrem Vortrag als „knowledge-free zone“ bezeichnet. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg und wie sollten feministische WissenschafterInnen Ihrer Ansicht nach darauf reagieren?

Diese Bücher geben vereinfachte Antworten auf Fragen, die durchaus viele Menschen beschäftigen. Menschen fragen sich, wie und warum sich Geschlechterbeziehungen verändern und woran sie sich orientieren können. Die populärwissenschaftliche Literatur gibt darauf falsche und irreführende Antworten, aber sie liefert unterhaltsame Antworten. Diese „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“ Bücher sind ein wenig mit Horoskopen zu vergleichen: Es werden dir unterhaltsame Geschichten erzählt und „Fakten“ präsentiert, die du bereits zu wissen glaubst – du findest dich darin wieder und wirst in deinen Vorurteilen bestätigt.

Die Ratgeber-Industrie macht so mit der Verunsicherung der Menschen ein gutes Geschäft. Und diese Bücher sind fast allesamt konservativ und anti-feministisch, wir müssen sie also kritisieren. Wir müssen aber auch die Bedürfnisse erkennen, die hier bestehen. Ich bewundere Feministinnen sehr, die es schaffen, in den Massenmedien gute Geschichten zu erzählen und wichtige Problemstellungen einfach und verständlich aufzubereiten. Ich denke, das ist ungeheuer wichtig.

Ihr Konzept der „Hegemonialen Männlichkeit” ist innerhalb der Männlichkeitsforschung sehr einflussreich, ihr Werk „Masculinities“ ist das meistzitierte in diesem Feld. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Ich denke, das Konzept der „Hegemonialen Männlichkeit“ ist sehr einflussreich, weil es WissenschafterInnen ermöglicht hat, die Verbindung zwischen verschiedenen Problemstellungen zu erkennen. So wurde etwa sichtbar, dass es nicht nur eine Männlichkeit, sondern sehr verschiedene Männlichkeiten gibt. Außerdem fokussiert es auf Geschlechterbeziehungen, es ermöglichte WissenschafterInnen, zu verstehen, wie Unterschiede zwischen Männlichkeiten mit den Geschlechterbeziehungen zwischen Männern und Frauen verwoben sind.

Außerdem konnten sie über Männlichkeit sprechen, ohne diese zugleich ablehnen oder bestätigen zu müssen; sie konnten erkennen, dass es bestimmte Muster im Konzept Männlichkeit gibt, die äußerst schädlich sind und dass Männer auch alternative Positionen innerhalb der Geschlechterordnung einnehmen können. Wenn wir in einem dichotomen Denken verhaftet bleiben, das die sozialen Gruppen „Männer“ und „Frauen“ getrennt voneinander behandelt, dann können wir auch nicht über Wege nachdenken, wie Männer von Positionen innerhalb des patriarchalen Systems abrücken und wie Allianzen zwischen Feministinnen und bestimmten Gruppen von Männern entstehen können. Ich denke, es fehlte auch an einem Konzept, um über Positionen von homosexuellen Männern innerhalb der Geschlechterbeziehungen nachdenken zu können.

Ich nehme also an, dass die Sprache der hegemonialen Männlichkeiten, der marginalisierten, komplizenhaften und der untergeordneten Männlichkeit eine Analyse von bestehenden Komplexitäten und ein strategisches Nachdenken über potentielle Veränderung von Männlichkeiten ermöglichte. Natürlich wurde mein Konzept in bestimmten Kreisen auch abgelehnt, ich glaube, Queer-TheoretikerInnen mögen es nicht besonders und auch WissenschafterInnen, die eher einen funktionalistischen Ansatz vertreten, können nicht viel damit anfangen.

In der feministischen Wissenschaft bzw. in den Gender Studies herrscht eine rege Diskussion über die eigenen Begrifflichkeiten, über ein „feministisches Subjekt“ und damit verbundene Essentialismen. In der Männlichkeitsforschung scheinen solche Diskussionen eine untergeordnete Rolle zu spielen – würden Sie dieser Beobachtung zustimmen?

Ja, es existiert ein sehr weit verbreiteter, essentialistischer Gebrauch des Konzepts „Männlichkeit“. Einerseits natürlich in populärwissenschaftlicher Rategeberliteratur, aber auch in konservativen, männerpolitischen Gruppen. Ich persönlich habe kein Problem damit, von „Männern“ und „Frauen“ zu sprechen – für mich sind das die Namen sozialer Gruppen. Ich mache mir auch nicht so viele Gedanken über Essentialismus, wie das andere WissenschafterInnen tun – vor allem Queer-TheoretikerInnen, DekonstruktivistInnen und PoststrukturalistInnen versuchen ja, Essentialismus um jeden Preis zu vermeiden. Meiner Ansicht nach brauchen wir uns darüber nicht so viele Sorgen zu machen; nicht, weil wir etwa essentialistisch agieren sollten, sondern weil wir die Analyse von Gender auf anderen Grundlagen aufbauen können.

Ich spreche dabei von Gender als eine Strukturkategorie sozialer Beziehungen. Bei Gender handelt es sich um eine soziale Realität, die ebenso eine historische Realität ist – aber keine biologische. Es ist eine historische Realität bezogen auf die Art und Weise, wie Gesellschaften mit Reproduktion umgegangen sind. Ich sehe eine Gefahr in vehementem Anti-Essentialismus – nämlich, dass wir die menschliche Reproduktion vergessen. In dekonstruktivistischen feministischen Texten kommen Kinder praktisch nicht vor. Sie fehlen einfach – ebenso die Erziehung, die Kinderbetreuung, die Beziehungen zu Kindern. Das ist sehr problematisch, denn bei Gender geht es in erster Linie um reproduktive Körper und um die sozialen Beziehungen, die sich in unserem reproduktiven System abspielen.

Das auszusprechen, heißt für mich nicht, in Essentialismus zu verfallen, sondern in den Realismus. Und es bedeutet dabei keineswegs, automatisch davon auszugehen, dass alle reproduktiven Körper gleich wären, was uns essentialistische Ansätze ja erzählen wollen. Für mich hat dieser Zugang zu Gender das größte Potential, er  ermöglicht auch eine kritische Analyse von Macht, Unterdrückung und Ausbeutung. Und es geht also darum, die Verkörperung sozialer Strukturen zu erkennen und zu verstehen. Wir haben nicht eine dichotome Gesellschaft hier und Köper dort – Gender ist eine soziale Struktur, die in die Körper eingeschrieben ist. Dieses Denken führt uns meiner Ansicht nach weit über essentialistische Positionen hinaus. Vielleicht liege ich auch falsch –  aber so sehe ich dieses Problem.

Demnächst in Teil 2: Männlichkeitsforschung als eigene Disziplin und Krisen-Manager.

Dieses Interview ist bereits  in der Dezember-Ausgabe der Zeitschrift „an.schläge“ erschienen.

Wenn Männer tagen

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Warum sich Feministinnen mit der Männlichkeitsforschung und Männerberater mit dem Feminismus auseinandersetzen sollten

Vergangene Woche feierte die Männerberatung Graz ihr 15-jähriges Bestehen, anlässlich des Jubliäums wurde die österreichische „Männertagung“ erstmals in der Steiermark (an der Fachhochschule Joanneum) abgehalten. Auf diese beiden Tage hatte ich mich schon sehr gefreut, da unter anderem Raewyn Connell zu Gast war und Männlichkeitsforschung zu meinen Schwerpunkten innerhalb der Gender Studies zählt.
Was mich schließlich auf der Veranstaltung zum Thema „Diversität von Männlichkeiten“ überraschte, waren nicht unbedingt die Vortragenden, sondern vielmehr einzelne Besucher. Aber erst einmal der Reihe nach.

Am Donnerstag hielt Raewyn Connell, die wohl weltweit am häufigsten zitierte Männlichkeitsforscherin, einen Vortrag und legte dabei ihren Schwerpunkt auf globale Dimensionen der Geschlechterforschung. In ihren jüngsten Publikationen setzt sich die Soziologin mit der westlichen Dominanz in der globalen Wissensproduktion auseinander – ein Thema, das von feministischen Wissenschafter_innen schon lange diskutiert wird. Dass sich eine einflussreiche Universitätsprofessorin wie Connell des Themas annimmt und versucht, konkreten Forschungsprojekten in Südafrika, Chile und dem Iran zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen, kann eigentlich nur positiv bewertet werden.

Redebedarf

Am Nachmittag diskutierten wir schließlich in einem der Workshops ein aktuelles Projekt der Männlichkeitsfoscherin zu „business men“. Während sich vor allem Studierende, die zur Tagung angereist waren, mit theoretischen Fragestellungen auseinandersetzten, wurde recht bald klar, dass sich die meisten Männer für andere Themen interessierten. „Wenn ich bei Besprechungen als einziger Mann teilnehme, lassen mich die Frauen genauso nie zu Wort kommen. Oder sie akzeptieren nicht, was ich sage“, erzählte ein Teilnehmer, der in der Männerberatung tätig ist. Überhaupt bestand bei vielen Teilnehmern ein großer Redebedarf, für den vielleicht ein eigenes Format vonnöten gewesen wäre.

Dieser Umstand war im Grunde absolut nachhvollziehbar für mich: Über Männlichkeiten und Männer zu reden, das ist etwas Neues, Interessierte brauchen Möglichkeiten und Räume, um sich austauschen zu können. Die Thesen, die manche Teilnehmer allerdings während der Tagung zum Besten gaben, waren äußerst problematisch. Ein Vertreter des deutschen „Bundesforum Männer“ erzählte etwa, dass er Männer dazu ermutige, sich mit Geschlechterrollen zu beschäftigen, da Frauen über ein wichtiges Privileg verfügen würden: Freizeit (Vielleicht, so hoffe ich, konnte er sich aber auch auf Englisch nicht so gut ausdrücken, wie er das gerne gewollte hätte).

Thomas Gesterkamp, der unter anderem zu Männerrechtlern und deren dubiosen Aktivitäten im Internet forscht, sprach am Freitag über die „Krise der Kerle“ und bemühte trotz kritscher Grundhaltung diverse sexistische Klischees und Allgemeinplätze: Arbeitslose „Unterschichtsmänner“ sind doppelte Verlierer und finden aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit keine Frauen. So werden sie auch nicht in Partnerschaft und Ehe „erzogen“ und landen schließlich im Wettbüro. Und Jungen werden in den Schulen doch irgendwie nicht richtig behandelt. Etwa, weil der „männliche“ Bewegungsdrang von den Lehrerinnen als Störfaktor verurteilt wird. Auch der „Boys‘ Day“ sei irgendwie unfair: Während Mädchen spannende Betriebe besichtigen dürfen, müssen Jungs Nudeln kochen oder werden in den „Nähparkour“ geschickt.

Überhaupt fehlte auf der Tagung der Wille zur (theoretischen) Reflexion. Das wurde besonders eindringlich sichtbar, als schließlich Erich Lehner seinen Vortrag hielt. Der Pädagoge und Psychoanalytiker hat sich bereits in diversen (rechten) Männerkreisen äußerst unbeliebt gemacht, da er sich intensiv mit dem Feminismus auseinandersetzt und sich klar gegen die automatische gemeinsame Obsorge ausspricht. Wenn Väter ihre Versorgungspflichten vor einer Scheidung nicht erfüllen, können sie nicht nach einer Trennung Rechte fordern – diese These vertritt Lehner und erzählt in seinen Vorträgen und Vorlesungen von engen Vater-Kind-Beziehungen, die durch Pflegetätigkeiten entstehen.

Rotes Tuch Feminismus

Nachdem er bei der Männertagung davon gesprochen hatte, dass Männerarbeit immer pro-feministisch sein und Männerpolitik einer Frauenministerin unterstellt sein müsse, wurde es unruhig im Saal. Unzählige Hände schnellten in die Höhe, als schließlich Fragen gestellt werden durften. Ein Universitätsprofessor von der Uni Innsbruck konnte seinen Ärger kaum verbergen: Pro-feministisch, das sei doch völliger Blödsinn. Er habe nämlich schon mit Feministinnen gesprochen. „Die verleugnen die Zweigeschlechtlichkeit! Unglaublich! Sitzen wir als Männer und Frauen hier, oder was?“ Dann erzählte er von seinen Experimenten in Kindergärten, wo sich Jungs förmlich auf Männer stürzen würden. Dann wälzen sie sich angeblich am Boden und können ihrer Männlichkeit so freien Lauf lassen. Sein Resümee: „Es gibt ganz klar viele Unterschiede zwischen den Geschlechtern!“

Ein anderer Teilnehmer, der in einer Männerberatung in Innsbruck arbeitet, erregte sich ebenfalls sehr über Lehners Vortrag. „Wenn ich diese wissenschaftlichen Sachen schon sehe, wird mir ganz anders. Defizit, Defizit, Defizit“, sagte er, während einige Männer zustimmend applaudierten. Er versuche, Männern positive Zugänge zu vermitteln, das Ganze müsse einfach Spaß machen.

Was immer wieder auffiel, war der Umstand, dass das Wissen um Feminismus / feministische Theorien und auch Männlichkeitsforschung bei vielen Teilnehmern, die sich zu Wort meldeten, äußerst mangelhaft war. Dass sich manche sogar offen von wissenschaftlichen Zugängen distanzierten, stimmte mich zusätzlich nachdenklich. Gerade in Männerberatungseinrichtungen, wo wichtige Arbeit zu den Themen Gewalt, Beziehung, Trennung und Gesundheit geleistet wird, sollte akademisches Wissen zur praktischen Anwendung kommen.

Männerproblem Scheidung

Männer, die vor einer Scheidung stehen oder diese bereits hinter sich haben, sind jene Männer, die am häufigsten eine Beratungsstelle aufsuchen. In einem Workshop zu Trennungskonflikten und Vaterschaft erzählten Mitarbeiter der Männerberatung Graz und Linz am Freitag Nachmittag aus der Praxis. (Automatische) gemeinsame Obsorge ist ein Thema, das unweigerlich polarisiert, so auch bei der Männertagung. Nach kurzer Zeit entstanden Streitgespräche, die allerdings von den  Diskussionsleitern abgefangen wurden. Viele Männer würden erst nach der Scheidung merken, was sie eigentlich verloren haben, erzählte ein Sozialarbeiter. Bei seiner Arbeit erlebt er die unterschiedlichsten Fälle: Väter, die über das Sorgerecht ihre Frauen weiterhin kontrollieren möchten und auch Väter, die sich aufrichtig um ihre Kinder kümmern möchten.

Wie Beispiele aus anderen Ländern zeigen, können viele Sorgerechtsstreitigkeiten in Gesprächen bei Familienberatungsstellen gelöst werden. Worauf sich in der Runde alle einigen konnten, war die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit zwischen Männer- und Frauenberatungsstellen und Kinderanwaltschaften. Auch gelte es, gegen herrschende Stereotypen anzukämpfen: die Frau, die unbedingt ein Besuchsrecht unterbinden möchte und der Mann, der sich nicht um seine Kinder kümmert.

Ministerbesuch

Als am Freitag auch Sozialminister Hundstorfer auf einen Besuch vorbeischaute, erhielt Raewyn Connell einen Einblick in österreichische Gepflogenheiten. Von fünf Mitarbeitern begleitet betrat der SPÖ-Minister das Audimax, bevor er auf die Bühne geholt wurde, hielten der Rektor der FH Joanneum und ein Vertreter der Stadt Graz (die beide zuvor nicht an der Tagung teilgenommen hatten) Begrüßungsreden. Jener Redner, der Bürgermeister Nagl (ÖVP) vertreten sollte, war angsichts des Themas „Diversität von Männlichkeiten“ nicht gut gebrieft worden: Er erzählte von muslimischen Migranten in Graz, Zwangsheirat und österreichischen Frauenrechten.

Der Sozialminister gab schließlich einen kurzen Abriss der Geschichte der männerpolitischen Grundsatzabteilung und versicherte uns Österreicher_innen, dass er uns von der Wiege bis zur Bahre begleite: „Wenn jemand im Spital geboren wird, haben wir das Arbeitsrecht für die Hebamme geregelt und wenn ihr beerdigt werdet, kontrolliere ich auch die Aufzeichnungen vom Bestattungsamt.“ Kritischen Fragen aus dem Plenum gegenüber zeigte er sich völlig entspannt – auch gegenüber Forderungen nach mehr Geld für Beratungseinrichtungen: „Wisst’s eh, ich brauch‘ euch hier ja kane G’schichterln erzählen.“ (Wie in der abschließenden Runde berichtet wurde, lieferten der Ministerbesuch und „Hegemoniale Männlichkeit auf der Männertagung“ noch Stoff für einen Workshop mit Raewyn Connell zu aktuellen Themen der Männlichkeitsforschung.)

Was bleibt

Für mich persönlich war es besonders interessant, im Rahmen der Tagung Einblick in die österreichische „Männerszene“ zu bekommen. Was meiner Ansicht auf jeden Fall noch ausständig ist, ist eine umfassende Akademisierung und Theoretisierung: Wer sich mit „Gender“ befasst, muss auch wissen, was das eigentlich ist. Auch eine feministische Grundbildung bräuchte es: Der (akademische) Feminismus hat in den vergangenen Jahrzehnten eine unglaubliche Fülle an Theorien und Konzepten hervorgebracht, die sich auch als äußerst praktisch für konkrete politische Arbeit erweisen. Andererseits ist auch eine feministische Einmischung notwendig – Männlichkeitsforschung wird derzeit innerhalb der Gender Studies eindeutig vernachlässigt.

Beide Forschungsschwerpunkte widersprechen sich nicht – ganz im Gegenteil: im Sinne einer Arbeit für Geschlechtergerechtigkeit ergänzen sich die Ansätze; wie zahlreiche Studien zeigen, leiden Frauen und Männer unter traditionellen Männlichkeitsbildern.

Zu sagen bleibt zudem, dass ich während der Tagung auch sehr interessante und differenzierte Gespräche geführt habe – oftmals sind es ja leider die negativen Erlebnisse, die stärker in Erinnerung bleiben. Besonders nett beendete ein Vertreter des Organisationsteams die Männertagung: „Unsere Tagung wurde im Vorfeld von Männerechtlern ja als ideologisches Onanieren bezeichnet. Ich möchte ihnen ausrichten: Es hat Spaß gemacht!“

Österreichische Männertagung in Graz

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Unter dem Titel „Diversität von Männlichkeiten“ findet im Oktober 2011 an der FH Joanneum in Graz die Österreichische Männertagung statt, am 20. Oktober wird die bekannte Männlichkeitsforscherin Raewyn Connell sprechen. Veranstalter ist die Männerberatung Graz, die die Tagung zusammen mit dem Studiengang Soziale Arbeit an der FH Joanneum konzipiert hat.

„Die österreichische Männertagung 2011 möchte eine Perspektive eröffnen, die die komplexen Relationen zwischen Frauen und Männern sowie zwischen verschiedenen Männlichkeiten wahrnimmt und in ihren Verschränkungen mit anderen sozialen Faktoren wie soziale Lage und Migration untersucht. Daraus sollen zukunftsorientierte Politiken für die Männerarbeit entwickelt werden.“

20. und 21. Oktober in Graz
Detailliertes Programm unter: Link
Anmeldung unter: Link (Der Tagungspass für Studierende kostet 80 Euro)

Am 13. Oktober wird Raewyn Connell wird außerdem einen Vortrag an der Universität Wien halten, Infos gibt es hier.

Der schöne Karl-Heinz

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Wer sich mit der akademischen Männlichkeitsforschung auseinandersetzt, kommt an zwei einflussreichen Arbeiten nicht vorbei. „Die männliche Herrschaft“ von Pierre Bourdieu wird  ebenso wie das Konzept der „Hegemonialen Männlichkeit“ der australischen Soziologin Raewyn Connell (vormals: Robert Connell) häufig zitiert und bearbeitet (Ansätze der Literatur- und Sprachwissenschaft konnten sich hingegen bisher kaum durchsetzen…).

Und wovon sprechen die beiden Soziolog_innen? Das zentrale Konzept Connells zeigt sich in ihrem „Dreistufenmodell“, „über das sich das soziale beziehungsweise kulturelle Geschlecht im Sinne einer ‚hegemonialen Männlichkeit’ in der westlichen Welt herausbildet.“  Die zentralen Unterscheidungen, in denen Geschlechterverhältnisse organisiert sind, sind laut Connell Macht- und Produktionsbeziehungen und die emotionale Bindungsstruktur. Connell fokussiert dabei vor allem auf die heterosoziale Dimension der Macht:  In der westlichen Welt stelle die bedeutendste Achse der Macht in der Geschlechterordnung die männliche Dominanz und damit die Unterordnung von Frauen dar. In den Produktionsbeziehungen zeigt sich die materielle Macht, die auf einem auf geschlechtlicher Arbeitsteilung basierenden kapitalistischen Wirtschaftssystem beruht. Die emotionale Bindungsstruktur meint schließlich Begehren als geschlechtliche Praxis, die in Form einer Zwangsheterosexualität die Dominanz der Männer stützt. Hegemoniale Männlichkeit sei dabei jene Männlichkeit, die das Patriarchat am effektivsten aufrechterhält.

Pierre Bourdieu legt im Gegensatz zu Connell seinen Schwerpunkt auf die homosoziale Dimension – auf die Beziehungen zwischen Männern. Männlichkeit wird bei Bourdieu als ein relationaler Begriff beschrieben, der vor und für die anderen Männer und gegen die Weiblichkeit konstruiert ist, aus einer Angst vor dem Weiblichen. Männer müssen sich in „sozialen Spielen“ gegenseitig ihre Männlichkeit beweisen, die männliche Ehre sowie die Männlichkeit per se muss ständig neu hergestellt und verteidigt werden. Dies geschieht in sämtlichen Gesellschaftsbereichen, vor allem in den Handlungsfeldern der bürgerlichen Gesellschaft, die Domänen der männlichen Dominanz darstellen: Ökonomie, Politik, Wissenschaft, Militär, sowie Vereine, Clubs und Freundeskreise, in denen Männer unter sich sind.

Die beiden Autor_innen begreifen Männlichkeit beide als historisch und kulturell variables Konstrukt, das auf sozialer Ebene permanent hergestellt und verteidigt werden muss – „hegemoniale Männlichkeit“ stellt sich als äußerst komplex dar. Was theoretisch ein wenig sperrig klingt, lässt sich anhand konkreter Beispiele täglich beobachten. Da wäre etwa Karl-Heinz Grasser. Österreichs jüngster Finanzminister (2000-2007) hat schon vor drei Jahren der Politik den Rücken gekehrt, dennoch vergeht kaum ein Monat, in dem Grasser nicht in den heimischen Schlagzeilen auftaucht. Gegen den ehemaligen Minister wird in mehreren Fällen ermittelt, ihm wird unter anderem Amtsmissbrauch vorgeworfen. Grasser wird zunehmend mit dem Wort „Skandal“ in Verbindung gebracht – doch das war nicht immer so. Viele Jahre galt der politische Schützling Wolfgang Schüssels als Vorzeige-Erfolgsmensch. Mit 25 Jahren hatte Grasser bereits das Amt des Landeshauptmann-Stellvertreters in Kärntnen inne, als Finanzminister der schwarz-blauen Koalition prägte er die politische „Nulldefizit“-Kultur.

Karl-Heinz Grasser kann somit auf den ersten Blick einer „hegemonialen Männlichkeit“ zugeordnet werden: der österreichischen Mehrheitsgesellschaft angehörig, akademisch gebildet, heterosexuell, ökonomisch erfolgreich und Inhaber einer machtvollen gesellschaftlichen Position. Gekonnt spielte er auch auf der Klaviatur der männerbündischen Strukturen: über einflussreiche Freunde und Bekannte beteiligte er sich an zahlreichen wirtschaftlichen Unternehmungen und begünstigte langjährige Mitarbeiter und Freunde in seiner Personalpolitik. Während Grasser in der „Kronen Zeitung“ als Traum-Schwiegersohn der Nation in Szene gesetzt wurde, war er zugleich Ziel von Angriffen, die mit seiner geschlechtlichen Identität in Verbindung standen. Nicht nur Kabarettisten sprachen vom „schönen Karl-Heinz“ und machten sich über Haargel und Solarium-Bräune lustig, auch in journalistischen Texten waren immer wieder Seitenhiebe auf seine (unterstellte) Attraktivität und seine modischen Vorlieben zu finden. (Grasser ließ sich – oben ohne – sogar für „Vanity Fair“ ablichten.) Schönheitspflege – das ist nach wie vor eine weibliche Praxis. Männer, die (zu) offensichtlich Wert darauf legen, müssen sich nicht zuletzt „dem Verdacht der Homosexualität erwehren“.

Während Karl-Heinz Grasser also auf ökonomischer Ebene seine Männlichkeit „beweisen“ konnte, geriet er zugleich aufgrund „unmännlicher“ sozialer Praktiken unter Beschuss. Diese Situation verschärfte sich, als Grasser 2005 Fiona Swarovski, Erbin der milliardenschweren Kristall-Dynastie, heiratete. Fiona Swarovski ist nicht nur um einige Jahre älter – ihr geschätztes Vermögen übertrifft jenes des Ex-Finanzministers bei weitem.
Wie Bourdieu schreibt, suchen Frauen sich meist einen größeren und älteren Partner, da dies allgemein akzeptierte Zeichen für Reife und Überlegenheit seien. Frauen befänden sich selbst in der paradoxen Situation, keine dominierende Position einnehmen zu können, die Heirat, „bei der sie in den männlichen Gesellschaften von unten nach oben zirkulieren“, biete „einen – oft den einzigen –  Weg zum sozialen Aufstieg“.

Die Ehe mit Fiona Swarovski, die den von Bourdieu geschilderten Strukturen zuwider läuft, bietet somit eine Angriffsfläche, um Grassers Männlichkeit in Frage zu stellen. „Karl-Heinz Grasser, die Frau von Fiona Swarovski“, hieß es unlängst in der Satire-Sendung „Willkommen Österreich“.  „Wer lebt schon gerne auf Dauer vom Vermögen seiner Frau?“, meinte dazu Andreas Mölzer in Anspielung auf die Causa Hypo Alpe Adria. Auch das Komiker-Trio „maschek“ widmete ihm eine Folge und unterlegte einen Auftritt Grassers mit den Worten: „Wuffi, uns geht es gut, wir müssen nichts arbeiten und unser Weibi finanziert uns das Leben.“

Am Beispiel Karl-Heinz Grasser zeigt sich nicht zuletzt, wie sich geschlechtliche Normen historisch verändern. Während der erfolgreiche Banker/Manager lange als Inbegriff von dominanter Männlichkeit galt, hat sich dieses Bild vor allem im Zuge der internationalen Finanzkrise verändert. Erfolg, Macht und Dominanz haben zunehmend den Beigeschmack der Rücksichtslosigkeit, der Gier und gar der Illegalität bekommen – sozial erwünschte „männliche“ Verhaltensweisen  werden somit (ansatzweise) einem Veränderungprozess ausgesetzt. „Hegemoniale Männlichkeit ist kein starrer, über Zeit und Raum unveränderlicher Charakter. Es ist vielmehr jene Form von Männlichkeit, die in einer gegebenen Struktur des Geschlechterverhältnisses die bestimmende Position einnimmt, eine Position allerdings, die jederzeit in Frage gestellt werden kann“, schreibt Raewyn Connell.

Links:
Interview mit Raewyn Connell als Audio-Datei
maschek: Karl-Heinz Grasser mit neuem Job
Interview mit Karl-Heinz Grasser auf standard.at (Video)
Ein fescher Skandalminister“ auf sueddeutsche.de (2003)
Karl-Heinz“ – Song von Christoph&Lollo auf Youtube

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