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Triebe und genetische Programmierung

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Ex-IWF-Boss Dominique Strauss-Kahn wird vorgeworfen, eine junge Frau vergewaltigt zu haben – seit Tagen berichten sämtliche Medien über die „verhängnisvolle Sex-Affäre“. Dass ein Großteil der Journalist_innen bei der Beschreibung des Falls sehr verantwortungslos mit den gewählten Begriffen umgeht, wurde bereits an vielen Stellen treffend analysiert (Diestandard, FM4, Taz, …).

Da werden sexualisierte Gewalt (ein Begriff, der zum Ausdruck bringt, dass es sich um Gewalt handelt, die sexualisiert wird und nicht Sex, der gewaltsam durchgesetzt wird) und Sex beliebig vermischt, sexualisierte Gewalt verniedlicht und damit eine Täter-Opfer-Umkehr provoziert. Solche Mechanismen sind tatsächlich fatal – wie Ines Pohl in der Taz schreibt, bildet Sprache nicht nur gesellschaftliche Machtverhältnisse ab, sondern gestaltet diese auch aktiv mit.

Besonders problematisch ist das Bild von Männlichkeit, das hier in der medialen Berichterstattung gezeichnet wird. Wie so oft werden biologistische Erklärungen herangezogen, wenn es um darum geht, das Verhalten von Strauss-Kahn zu erklären. „Viele Männer – eine Wahrheit: Wenn Macht, Gier und Testosteron zusammenspielen, können Karrieren abrupt enden“, titel der Online-Kurier. Zitiert wird Dr. Pfau, ein Sexualmediziner, der in einem Buch „die ganze Wahrheit“ über Männer veröffentlicht hat. Und diese „Wahrheit“ ist natürlich in den Genen zu finden.

„Männer sind schon wegen ihres evolutionsbiologischen Auftrags in ihrem Sexualverhalten expansiver und neigen zu aggressiv-forderndem Verhalten“, beschreibt Pfau das „Primatenerbe“ der Männer. „Vor unserem durch metrosexuelle Verweichlichung verkümmerten Geschlecht hängt im Geiste also immer noch nur ein Lendenschurz“, ist auch auf Focus Online zu lesen. Es ist also die genetische Programmierung, die Männer in ihrem Sexualverhalten steuert – ein beliebter Erklärungsansatz, der so ganz und gar nicht mehr lustig ist, wenn er statt in „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“ – Büchern und Programmen von Mario Barth im Zusammenhang mit Vergewaltigungen auftaucht.

„Aber ist Dominique Strauss-Kahn (DSK) tatsächlich so triebgesteuert und machtversessen, dass er sich von seinen Hormonen die Karriere vermasseln lässt?“, schreibt die Süddeutsche Zeitung Online und rundet damit das Modell des fremdbestimmten Mannes ab. Selbst wenn in den Artikeln beteurt wird, dass Triebe und Gene das Verhalten zwar erklären, aber nicht entschuldigen würden, passiert hier ganz klar eine Entlastung der Täter. Zugleich wird ein Bild des potentiellen Gewalttäters Mann konstruiert, der – hormonell gesteuert – wie eine tickende Zeitbombe umherirrt.

Frauen kommt in einem solchen Weltbild die Rolle der potentiellen Verführerin zu. „Schon vor seiner Verhaftung ist IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn immer wieder wegen seines lockeren Umgangs mit Frauen und Geld in den Medien kritisiert worden. Die linke Zeitung ‚Liberation‘ etwa zitierte ihn im April mit der Äußerung, drei Punkte könnten seine Präsidentschaftskandidatur belasten: ‚Geld, Frauen und mein Judentum“, ist auf orf.at zu lesen. Eine Frau zur falschen Zeit am falschen Ort kann also zur Auslöserin der „Triebgier“ von Männer werden, ein solcher Vergewaltigungsmythos  ist in zahlreichen Berichten zu finden.

Am Beispiel von sexualisierter Gewalt zeigt sich also besonders drastisch, wie problematisch der Trend sein kann, Gewalt, Sexualität und Macht naturwissenschaftlich und nicht sozialwissenschaftlich erklären zu wollen. Diesen „neuen Biologismus“ charakterisierte Gabriele Kämper in der „EMMA“ folgendermaßen:  „Die Frage nach Macht, Hierarchie, Verantwortung und Veränderung verschwindet hinter den endlos produzierten und von den Medien reproduzierten Hormoncocktails und Hirnströmen.“

Der Mann, ein hormongesteuertes Tier

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So in etwa lässt sich die Essenz der Profil Cover-Story „Testosteron: Was macht den Mann zum Mann?“ zusammenfassen. Und weil der im Iran geborene Rapper Nazar gleich zuschlägt und dicke Muskeln hat, im Gefängnis war und die „Bewegung im Blut hat“, laufen ihm die Frauen in Scharen hinterher, sagt Profil. Die viele unglaublichen Passagen möchte ich gar nicht alle einzeln kommentieren, aber wer hier die Postings zu „Alles über die Männer“ und „Alles über die Frauen“ und sonstige Einträge, die sich mit Hormonen und der „Wissenschaft“ vom Geschlecht gelesen hat, findet im Profil-Artikel den Beleg, dass sich solche Diskurse über Jahrhunderte und Jahrzehnte fortschreiben und lediglich ihr Gesicht verändern.

Nur eines sei erwähnt: „Diesen kleinen Unterschied wollen Männerforscher wieder stärker betonen, weil er in einer feministisch verblendeten Gesellschaft immer mehr in den Hintergrund getreten ist. Sie wenden sich gegen Gleichmacherei der Geschlechter und plädieren dafür, dass Buben wieder Buben und Männer wieder Männer sein dürfen.“ Ein wenig Recherche-Arbeit dürfte man/frau sich in einem seriösen Nachrichtenmagazin doch erwarten. Wer wurde hier befragt? Barbara Rosenkranz?

Einen Eintrag dazu gibt es ebenso auf dem Mädchenblog.

Listige Frauen

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In der letzten Vorlesungseinheit zum Thema „Wie sozial ist wissenschaftliches Wissen?“ haben wir uns über die Erforschung des weiblichen Gehirns unterhalten. Und da wurde etwa im 19. Jahrhundert festgestellt, dass Frauen besonders „listig“ seien (wenn schon nicht schöpferisch und genial). Im 21. Jahrhundert sind dafür offensichtlich die Hormone verantwortlich:

Männer sind wegen des höheren Testosteronspiegels generell leichter zu reizen als Frauen, diese bleiben viel länger besonnen. Ein Mann benutzt viel leichter rohe Gewalt, Frauen agieren hingegen gerne mit List, erläutert Kriminalpsychologe Hauptmann.“
Das ist heute unter dem Titel „Männliche“ und „weibliche“ Verbrechen auf orf.at zu lesen. Link

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