TagLangenscheidt

Deutsch-Mann, Mann-Deutsch

D

Weihnachten naht, da wird es dem/der einen oder anderen unter euch nicht erspart bleiben, ein so tolles Buch wie Langenscheidt’s „Deutsch-Mann Mann-Deutsch“ unter dem Baum zu finden. Ich wurde bereits (bestimmt in guter Absicht) mit dem genannten Buch und anderen Klassikern wie „Männer essen Fleisch, Frauen essen Gemüse“ beschenkt. Auf Geschlechter-Stereotype hat sich mittlerweile eine ganze Industrie konzentriert: „Männer sind anders. Frauen auch“, „Wie Frauen ticken“, „Warum die nettesten Männer bei den schrecklichsten Frauen bleiben“ – diese Liste ließe sich nahezu endlos fortführen. Einen weltweiten Bestseller landeten zuletzt Barbara und Allan Pease mit „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“, in dem sie „ganz natürliche Erklärungen für eigentlich unerklärliche Schwächen“ liefern.

Das Frauenbild, das in solchen Publikationen skizziert wird, lässt sich schnell zusammen fassen: Frauen gehen gerne Einkaufen (am liebsten Schuhe), wollen dauernd reden, haben eine Schwäche für Weiches, Pinkes und Schönes und keinen Sinn für Technik oder die Attraktivität von großen Fleischstücken. Männer schneiden in der Regel noch viel schlechter ab: Sie sind ohne Frauen kaum überlebensfähig (zumindest würden sie dann nicht mehr Duschen, Kochen, Aufräumen oder Familienmitgliedern zum Geburtstag gratulieren), haben keinen Geschmack, was Kleidung oder Inneneinrichtung betrifft, denken dauernd an Sex und lesen im besten Fall eine Sportzeitschrift auf dem Klo.

Nun gut, das Ganze könnte man als (mehr oder weniger) amüsante Lektüre ad akta legen und nicht weiter darüber nachdenken. Aber der explosionsartige Anstieg der Veröffentlichungen zu Geschlechter-Unterschieden kann natürlich kaum als „zufällig“ eingestuft werden. Geschlecht, das ist die relevante Unterscheidung unserer Zeit. Und deshalb suchen die Wissenschaft, die Populär-Wissenschaft und die Kabarettszene nach den Unterschieden zwischen den männlichen und weiblichen Gehirnen und Verhaltensweisen. Das spiegelt sich auch in der Naturwissenschaft, die gerne als objektiv und frei von Ideologie präsentiert wird, wider. Das produzierte Wissen der verschiedenen Fachgebiete  ist jedoch stark historisch und gesellschaftlich verankert – war es im 19. Jahrhundert etwa noch „normal“, nach Unterschieden zwischen verschiedenen „Rassen“ zu suchen, hat eine solche Forschung mittlerweile (zum Glück) völlig an Bedeutung und gesellschaftlicher Legitimation verloren.

Die amerikanische Biochemikerin Anne Fausto-Sterling, die Wissenschaftskritik zu ihrem Spezialgebiet erklärt hat, sieht sich in ihrer Forschungsarbeit die Biologie genauer an und fragt nach den Forschungsdesigns und den Vorannahmen und Erwartungen, mit denen Naturwissenschafter_innen ins Feld gehen. In „Sexing the Body“ zeigt sie zum Beispiel, wie die Erforschung des „corpus callosum“ im menschlichen Gehirn, wo verschiedene Wissenschafter_innen die „weibliche Intuition“ und diverse andere vergeschlechtliche Merkmale lokalisiert sehen, von zahlreichen Ungereimtheiten begleitet wird und einst dazu gedient hat, die Unterschiedlichkeit von Europäer_innen und Afrikaner_innen zu beweisen. Nicht zuletzt sind auch in den Naturwissenschaften Methoden und Ergebnisse äußerst umstritten und weichen mitunter stark voneinander ab – davon ist in diversen Büchern jedoch wenig zu lesen.

Die Denkweise, dass Männer und Frauen unterschiedliche Gehirne haben und deshalb auch über unterschiedliche Fähigkeiten und Interessen verfügen, erfüllt nebenbei auch ein menschliches Bedürfnis: einfache Erklärungen für sehr komplexe Sachverhalte. „Nicht umsonst ist die Pantomime eine von Männern dominierte Kunst. Denn statt vieler Worte benutzen Männer lieber ihren Körper als Medium. Das erspart ihnen erstens den – in ihren Augen unfairen – Kampf mit der bekanntlich verbal überlegenen Frau. (…) Bisweilen hilft es dann, sich den Mann als Tierchen vorzustellen, weil sein Verhalten oft nicht sehr weit von dem entfernt ist, was man sich im Zoo anschauen kann“, schreiben Susanne Fröhlich und Constanze Kleis in „Deutsch – Mann, Mann – Deutsch“. Weil Männer „tief im Inneren“ eben doch Höhlenmenschen sind.

Als Fazit aus einer solchen Lektüre postet ein Leser auf Amazon: „Wer einsieht, dass Mann und Frau nicht nur verschieden aussehen, sondern auch verschieden denken, wird erkennen, dass sie zwei Teile vom gleichen Ganzen sind!!“ Und diese These wird von verschiedenen Autor_innen (und auch Politiker_innen) immer wieder gerne aufgegriffen: Frauen sind anders, Männer sind anders – deshalb müssen sie sich gegenseitig suchen, finden und ergänzen, um glücklich zu werden. Womit auch die hierarchische Ordnung der Sexualitäten wieder erklärt und begründet wäre…

Link: Reader „Gender, Science and Technology“, Referat Gender Studies Wien

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