Männer in der Sinnkrise?

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Noch in den sechziger Jahren hatten es Männer einfacher. Es herrschten klare Rollenbilder: Frauen mussten in erster Linie den Haushalt führen und die Kinder versorgen, und sie waren sozial wie finanziell abhängig von den Männern. Doch dann wurden Geschlechterrollen in Frage gestellt – Eltern, Lehrer und Erzieher bemühten sich, Mädchen die gleichen Bildungschancen zu bieten, und förderten sie gezielt. Der Erfolg blieb nicht aus. Frauen haben inzwischen viele typische Männerberufe erobert, besetzen Führungspositionen, bekleiden bedeutende Ämter„, so Henning Engeln im deutschen Spiegel.

Wir schreiben das Jahr 2009 – und ein klares Rollenbild, an dem sich Männer orientieren können, fehlt. Analog zur Emanzipation der Frauen hat der wortkarge Familienernährer ausgedient, plötzlich herrscht Verwirrung – so der Befund vieler Autoren, die sich mit moderner Männlichkeit auseinandersetzen. Auch die Darstellung von Männern als Mängelwesen oder Auslaufmodelle wird vielfach beklagt: „Noch in den sechziger Jahren sind Männer als Schöpfer der Kultur, Entdecker, Religionsstifter, Weise, Heiler, Ärzte und Philosophen gefeirt worden. Wenn wir heute in Literatur und Medien schauen, dann tritt uns der Mann als Zerstörer, Kriegstreiber, Vergewaltiger, Kinderschänder und Pornograph entgegen“, sagt der Soziologe Walter Hollstein.

Aber hatten es (westliche) Männer in den sechziger Jahren wirklich einfacher? Kann es wirklich erstrebenswert sein, dass der Arzt (wir schreiben 1960), der im Krankenhaus auf Junge oder Mädchen entscheidet, damit auch die Freiheit, den eigenen Lebensentwurf zu gestalten, auf ein Minium reduziert? Hatte es in den sechziger Jahren ein homosexueller Mann einfacher? Ein Mann, der nicht im im Stande war, in der Erwerbsarbeit seine Erfüllung zu finden?

Dennoch scheinen wenige (schreibende) Menschen die herrschende Orientierungslosigkeit als Chance zu begreifen, um mit starren männlichen Rollenkonzepten zu brechen und eine Vielfalt von Lebensentwürfen denkbar zu machen. Zahlreiche Sachbuch-Autor_innen wollen uns viel eher sagen, dass ein Leben ohne vergeschlechtlichtes Selbstbewusstsein nicht möglich ist. Im Dschungel der geschlechtlichen Verwirrung bieten sie Konzepte an, die auf eine Rückbesinnung auf „traditionelle Werte“ zielen.

Wer etwa das Seminar von Autor Björn Leimbach besucht, kann „seinen Testosteronwert erhöhen“ und vom „netten Jungen zum echten Mann“ werden. Die Botschaft ist klar: Männer sind von Natur aus aggressiv, wollen in Männerrunden Konkurrenz leben und in Partnerschaften die Führung übernehmen. Doch Pädagoginnen, Mütter und Partnerinnen sind auf dem besten Wege, die Männer zu entmännlichen. Step I – IV wollen Männer zu „Herzenskrieger“ machen, Step III zum Thema Sexualität nennt sich da „Sexualität, Potenz und Dominanz.“ Denn eines ist klar: „Auch die meisten Frauen haben auf Dauer wenig Interesse an einem ’netten‘ Mann“.

„Der Typ John Wayne ist oldfashioned, klar. Aber er hatte ein Koordinatensystem. Er wusste, welche Dinge man tut, weil man ein Mann ist. Und er wusste, welche Dinge man nicht tut, weil man ein Mann ist. Und heute? Es gibt allein in Deutschland 41 Millionen Männer. Bei dieser Masse ist die Identitätskrise des Mannes keine Sache von ein paar Therapeutensitzungen in Altbauwohnungen. Die graue, konturlose Masse Mann verklebt die Kraftadern der Republik“, schreiben Andreas und Stephan Lebert in ihrer „Anleitung zum Männlichsein“.

Männer, die den „Verfall“ der Männlichkeit beklagen, sind längst nicht unter sich geblieben. Die Bestätigung der These, dass Frauen „so einen Mann“ nicht wollen, liefern konservative Geister wie Bettina Röhl oder Eva Hermann. Und auch Barbara Rosenkranz scheint sich in ihrem Buch „MenschInnen“ vordergründig um die Gefährdung „wahrer Männlichkeit“ zu sorgen, wenn Jungen in Wiener Kindergärten nicht nur mit Autos und Bausteinen spielen sollen. (Lauert nicht hinter jeder Barbie die Homosexualität?) Was die genannten Frauen selbst machen, gestehen sie Männern nicht zu – als erfolgreiche Autor_innen (und Politikerin) geben sie der Karriere großen Raum in ihrem Leben und konterkarieren damit ihr eigenes Bild der Mutter und Hausfrau (Barbara Rosenkranz gibt als Beruf „Hausfrau“ an).

Angesichts dessen ist die Zeit gekommen, Gegenbilder zu entwerfen und den Verteidiger_innen der „echten Männlichkeit“ nicht die Definitionsmacht zu überlassen. (Mehr zu konservativen Strömungen in der Männlichkeitsforschung das nächste Mal…)

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brigittethe

8 comments

  • Männer befinden sich nicht in einer Krise, sie werden betrogen.

    Ansonsten kann man jedem Mann nur empfehlen, das ganze Rollengewäsch zu ignorieren, da er sonst neurotisch wird.

  • Hi…

    Ich kann mich meinem Vorredner nur anschliessen.

    Lieber Männer,
    sucht euch eine liebenswerte und begehrenswerte Frau, behandelt sie gut und der Rest wird schon.
    Macht euch keinen Kopf um die Rollenverteilung. In einer gut funktionierenden Partnerschaft ergeben sich die Dinge und eure Frauen, wenn sie denn tolle Frauen sind, werden euch behilflich sein, eure individuelle Rolle zu finden.

    Für mein Verständnis von Mann und Frau sind grundlegende Zwischenmenschliche Dinge wichtig wie Respekt und Toleranz, Freiheit und Gemeinsamkeit.

    Auf zu neuen Ufern

    Keks

  • Hi.

    „Denn eines ist klar: “Auch die meisten Frauen haben auf Dauer wenig Interesse an einem ‘netten’ Mann”.“

    *DAS* ist der ganze Kern der Männlichkeitsdebatte. Hier (http://clarissethorn.wordpress.com/2009/10/18/questions-i-want-to-ask-entitled-cis-het-men-part-1/) wird das von der Autorin wie folgt formuliert:

    „A male friend once wrote to me, “I think you personally find expressions of masculinity hot, but you also have no patience with sexism. You’ve caught on that it’s tricky for men to figure out how to deliver both of these things you need, that you don’t have a lot of good direction to give to fellas about it, and that neither does anyone else.”“

    Und so sehr das immer wieder von Feministinnen bestritten wird – das ist der Kernpunkt der gegenwärtigen Verunsicherung vieler Jungs/Männer: Und von denen, die Veränderung fordern, kommen im Regelfall nur Problemstellungen, leider nicht die geringsten Lösungsansätze.

  • für mich ist das nicht der kern der debatte… ich kann mir durchaus vorstellen, dass es frauen gibt, die bestimmte „männliche“ verhaltensweisen von einem mann erwarten und „unmännliche“ sanktionieren – aber deshalb brauchen wir ja eine öffentliche debatte und männer, die sie gegen soetwas wehren. sofern das (logische) ziel die befreiung von verhaltensnormen ist…

  • Brigitte,

    „für mich ist das nicht der kern der debatte… … aber deshalb brauchen wir ja eine öffentliche debatte und männer, die sie gegen soetwas wehren. sofern das (logische) ziel die befreiung von verhaltensnormen ist…“

    naja, wie sollen sich Männer denn dagegen wehren, daß die meisten (und es sind die meisten, auch aus eigener Erfahrung) Frauen Ausdrucksformen klassischer Maskulinität erwarten und sexy finden? Und wenn sie das tun würden, wäre das erste feministische Argument doch das, das hier wieder einmal weibliches Verlangen von Männern diktiert würde. Das zum einen. Zum anderen zu Deiner Aussage, daß das nicht der Kern der Debatte sei. Ich bin neu hier, und ich habe noch nicht viel von Dir gelesen, würde aber dennoch gerne bemerken, daß ich nicht selten den Eindruck habe, daß FeministInnen von der Antwort aus argumentieren, die sie sich selbst gegeben haben, und alternative Erklärungen nicht wirklich zulassen. So etwas ist jeder Diskussion enorm abträglich.

    Zur Frage der Befreiung von Verhaltensnormen – hier wird aus meiner Sicht oft ignoriert, daß bestimmte Normen für nicht wenige Menschen überhaupt erst einen Handlungsspielraum eröffnen, da sie sich mit der atomisierten Aushandlung von Kommunikationsstrukturen schwer tun. Ich würde behaupten, das gilt für die meisten Menschen auf der ein oder anderen Ebene. Wenn man, wie hier zum Beispiel in Bezug auf das alte Männlichkeitsskript Normen wegnimmt, ohne den Menschen, die vom Wegfall betroffen sind, eine Anleitung dafür zu geben (neue Normen), wie sie sich in der geänderten Welt zurecht finden, dann ist die Abschaffung der Norm keine Befreiung, keine Eröffnung von zusätzlichen Möglichkeiten, sondern eine Einschränkung der persönlichen Handlungsmöglichkeiten. Ob und inwieweit das eine oder das andere auf eine bestimmte Person mehr oder weniger zutrifft, hängt ohne Zweifel von der Person ab. Aber die positive Dimension von Normen komplett zu ignorieren, ist auf jeden Fall ebenso problematisch, wie zu vergessen, daß sie eben auch ein Gefängnis sein können.

  • na dann lies vielleicht erst mal mehr, bevor du mir vorwirfst, dass ich alles abgesehen von meiner meinung ablehne. wie du in vielen postings sehen wirst, habe ich zu vielen dingen nämlich selbst keine eindeutige / klare position – weil die dinge einfach sehr komplex sind.
    ich finde, man sollte auch diskutieren können, ohne erst mal den/die andere/n abzuwerten. (was aber anscheinend beim thema geschlecht nicht möglich ist)

    und zum inhalt: das tu ich mir jetzt schwer, deiner position zu folgen, weil ich einen völlig anderen zugang dazu habe. ich ganz persönlich sehe die positiven seiten der normierung und normalisierung nicht bzw kaum. obwohl ich weiß, nicht-behindert, westeuropäisch und mittelschicht bin. natürlich kann man es aber nicht ignorieren, dass die menschen nach nationalen, geschlechtlichen und sonstigen identitäten lechzen…

  • Brigitte,

    „ich finde, man sollte auch diskutieren können, ohne erst mal den/die andere/n abzuwerten. (was aber anscheinend beim thema geschlecht nicht möglich ist)“

    Selten, ja. Wobei, „abwerten“ auch so ein unklarer Begriff in dem Zusammenhang ist. In der bereits von mir verlinkten Artikel-/Thread-Serie ist das erstaunlicherweise über Monate sehr gut gegangen, und eine der wesentlichen Einsichten war, daß die Argumentationsebenen von FeministInnen durch ihre oft verallgemeinerndeWortwahl oft einen Allgemeingültigkeitsanspruch suggerieren, den sie selbst zwar gar nicht zu haben scheinen, den andere Diskutanten aber so wahrnehmen. Da rauszukommen und einander ernst zu nehmen, ohne vom anderen die Akzeptanz des eigenen Weltbildes zu fordern, ist schon ein wenig die hohe Kunst des Diskutierens.

    Und ja, ich werde mal mehr hier lesen…

    „natürlich kann man es aber nicht ignorieren, dass die menschen nach nationalen, geschlechtlichen und sonstigen identitäten lechzen…“

    Und das tun sie, weil es ihnen das Leben *leichter* macht, nicht weil es ihnen das Leben schwerer macht. Ob man den Wegfall von Normen als Befreiung oder Begrenzung sieht, hängt halt davon ab, ob man sich in dem Normensystem frei bewegen konnte, oder nicht. Ziel sollte sein, eine Normenstruktur zu finden, die sowohl erlaubt, auszubrechen, als auch Halt im System zu finden. Ist immer eine Gratwanderung, klar.

By brigittethe

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