Archive2016

Die Sache mit der FPÖ

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Mich stört seit jeher der Klassismus, der sich durch Diskussionen über die FPÖ und ihre WählerInnen zieht. Ausführlicher habe ich das bereits vor einigen Wochen in einem Kommentar für die an.schläge – als Reaktion auf einen „Profil“-Artikel – dargestellt („Antirassismus, der diskriminiert„).

Auch nach der Bundespräsidentenwahl ging es wieder los mit den hämischen Bemerkungen zum Wahlverhalten nach dem Bildungsgrad: „Dumme“ wählen FPÖ. Wer dieser Meinung ist, spielt nicht „den Rechten in die Hände“, sondern hat einerseits ein klassistisches Weltbild und andererseits vielleicht auch ein schiefes Bild vom Konzept der (Formal-)Bildung. Eine elitäre Schlagseite war „der Linken“ (grobe Verallgemeinerung, ich weiß) – zumindest seit ich politisch aktiv bin – wohl immer schon immanent. In meiner linken/linksliberalen/feministischen Blase gehöre ich als Person, die nicht in einem AkademikerInnen-Haushalt aufgewachsen ist UND keine Eigentumswohnung besitzt, ganz klar einer Minderheit an. Wenn jetzt eben diese Menschen, auf die ein Erbe im sechsstelligen Bereich wartet (Reichtum wird ja vererbt, wie wir wissen), andere Menschen ohne vergleichbares Sozial- und Finanzkapital lächerlich machen, weil sie „Angst haben, dass man ihnen etwas wegnehmen könnte“, ist das mitunter ignorant und zynisch.

Und solche Haltungen spiegeln sich natürlich auch in der politischen Kommunikation wider. Dass GeringverdienerInnen sich von den unterschwellig klassistischen „Bio macht schön“-Sackerln – 250 g Bio-Tomaten für 3,99 Euro – nicht angesprochen fühlen, liegt auf der Hand. (Das soll jetzt keine Pauschal-Abrechnung mit den Grünen sein, es ist nur ein gutes plakatives Beispiel wie ich finde.) Warum wer welche Partei wählt, hängt also wahrscheinlich nicht nur mit dem Parteiprogramm zusammen – wie uns letztendlich die FPÖ gelehrt hat.

Es gibt also gute Gründe, solche Debatten zu hinterfragen und ich freue mich, wenn das auf breiter Basis passiert. Aktuell scheint dies jedoch in eine sehr seltsame Richtung abzugleiten. Ein Posting des Autors Thomas Glavinic zum Umgang mit FPÖ-AnhängerInnen machte da etwa die Runde und wurde gefeiert. Er schreibt darin: „Leute, die jeden, der sagt, er ist stolz, Österreicher zu sein, mit einem gewissen Recht als schlicht gestrickt bezeichnen, schämen sich plötzlich, Österreicher zu sein. Ja, dann schämt euch doch. Wandert aus! Das hilft bestimmt weiter. Hauptsache, man gehört zu den Guten. Wieso mit diesen Bösewichten reden? Wieso ihre Ängste einmal ernst nehmen?“ Dieses Statement vermischt sich mit unzähligen Kommentaren, was nun alles vor der Stichwahl den Rechten in die Hände spielen würde: Demonstrationen, Antifaschismus, Lagerwahlkampf und überhaupt jegliche „Anti-„Haltung. Heraus kommt (zumindest in meiner virtuellen Blase) ein Schimpfen auf die Gutmenschen und ihre Moral, auf die politische Korrektheit und linke Krawallmacher, die die Heimat Österreich verunglimpfen. Klar politisch Haltung zu zeigen, für den Schutz der Menschenrechte (inkl. Asyl), gegen Sexismus, Rassismus und Homophobie einzutreten, hat allerdings so gar nichts mit „moralischer Selbstüberhöhung“ und Selbstgefälligkeit zu tun, sondern ist vor allem angesichts politischer Entwicklungen in den Nachbarländern wichtiger denn je. Wenn ich die Angst vor „Überfremdung“, vor Gewalt oder Arbeitplatzverlust wirklich ernst nehme, liefere ich auch (Gegen-)Argumente und mache meinen Standpunkt deutlich. Den Rechten spielt nämlich vor allem eines in die Hände: sie zu wählen.

Verlinkt

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Einige Links in eigener Sache: Auf Diestandard.at durfte ich für den Artikel „Risikofaktor Männlichkeit“ mit profeministischen Männern und einer Rechtsextremismus-Forscherin über den Männlichkeits-Diskurs in der Flüchtlingsdebatte sprechen.

Statt auf der Denkwerkstatt habe ich im Februar auf Mosaik gebloggt – und zwar über den „Neo-Maskulinisten“ Roosh V und seine frauen- bzw. menschenverachtende Ideologie.

In der aktuellen Ausgabe der an.schläge durfte ich einige Texte zum Überwachungsschwerpunkt beitragen – u.a. habe ich Anne Roth und Leonie Tanczer interviewt.

Das tolle Online-Magazin „Migrazine“ ist meiner einer neuen Ausgabe zurück: „Wie hat der ‚lange Sommer der Migrationen‚ von 2015 die politischen Realitäten verändert? Um diese Frage zu beantworten, greifen die Autor_innen dieses Schwerpunkts unterschiedliche Themen auf: Sie kritisieren Abschiebungen und eurozentrisches Hilfsdenken, setzen sich mit verschiedenen Formen des Widerstands auseinander und zeigen Wege der Solidarität mit den Kämpfen von Migrant_innen auf.“

Auch außerhalb des aktuellen Schwerpunkts auf Migrazine äußerst lesenswert: „Prololesben und Arbeiter*innentöchter„.

Ich habe mich in einem an.schläge-Kommentar über den Klassismus in der Berichterstattung über FPÖ-Wähler_innen geärgert.

Aktuell wird in Österreich gegen Bezieher_innen der Mindestsicherung gehetzt, rassistische Ressentiments werden für die Kürzung von Sozialleistungen eingespannt. Die Armutskonferenz macht sich immer wieder die Mühe, verbreitete Falschmeldungen und Berechnungen mit Statistiken und Studien zu widerlegen. In der „Kleinen Zeitung“ berichtet eine Bezieherin  der Mindestsicherung „von ihrem Alltag mit finanziellem Minimum, Existenzängsten und Wünschen“.

Die Mädchenmannschaft berichtet über die Kampagne „Sanktionsfrei“: „Sanktionsfrei ist eine kostenlose Online-Plattform, die Hartz-IV-Sanktionen endgültig abschafft: Wir verpassen den Jobcentern ungefragt ein freundliches Online-Portal, das Betroffene umfassend informiert und kompetent begleitet.“ Unterstützer_innen gesucht!

„Es kommen viele hochgradig traumatisierte Frauen“ – lesenswertes Interview über Frauen im bewaffneten Widerstand gegen den IS und weibliche Flucht

Wenn ihr „Suffragette“ noch nicht gesehen habt, solltet ihr das unbedingt nachholen! Nicht nur, dass die Geschichte frauen*politischer Kämpfe endlich im Kino erzählt wird, der Film stellt eine Wäscherei-Arbeiterin (großartig Carey Mulligan) in den Mittelpunkt (Rezension auf der Mädchenmannschaft). 

Beate Hausbichler hat auf Diestandard.at ein gerade erschienenes Buch über die Suffragetten rezensiert.

Köln oder Hallo, geht’s noch?

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Zu den massenhaften Übergriffen in der Silvesternacht in Köln und den daraus entstandenen Debatten haben schon viele kluge Leute viele kluge Texte geschrieben (habt ihr euch #Ausnahmslos schon angesehen?). Dem ist an sich nichts hinzuzufügen, aber ein Aspekt der österreichischen (innenpolitischen) Debatte macht besonders wütend.

Nicht nur in Österreich, auch in Deutschland haben unzählige Menschen – vorrangig Mitglieder konservativer und rechter Parteien – über Nacht sexuelle Gewalt als Thema entdeckt, das ab sofort ganz oben auf ihrer Agenda steht. Zumindest wenn es sich bequem als Argumentationsgrundlage für rassistische Theorien oder Forderungen nach schnelleren Abschiebungen und „Obergrenzen“ für Flüchtlinge heranziehen lässt. Wie scheinheilig das ist und wie falsch, muss ich denke ich nicht näher ausführen. Trotzdem möchte ich einzelne Beispiele herausgreifen, die mir besonders unverfroren erscheinen. Da wäre etwa Herr Franz. Dank der ÖVP könnte uns der rechtskonservative Politiker, den vor allem sein „Pograpsch-Sager“ bekannt gemacht hat, noch länger erhalten bleiben. Und dieser Herr Franz zeigt sich plötzlich schockiert angesichts der Übergriffe, die da in Köln passiert sind. Die (heimischen!) Frauen müsse man ja schützen.

Wir erinnern uns, noch vor einem halben Jahr war er derjenige, der mit aller Kraft und viel medialer Unterstützung versucht hat, die Reform des Sexualstrafrechts zu verhindern. Österreich hat ein vorbildliches Gewaltschutzgesetz und mittlerweile auch ein sehr gutes Sexualstrafrecht. Was hierzulande bereits umgesetzt wurde, wird in Deutschland nun diskutiert. Dort ist die Rechtslage nämlich nach wie vor so, dass Opfer einer Vergewaltigung nachweisen müssen, dass sie sich ausreichend gewehrt haben – ein „Nein“ reicht nicht aus. Auch Belästigungen wie das Grapschen sind nicht strafbar.

Dass in Österreich die Gesetzeslage vergleichsweise gut abschneidet, ist nicht der Verdienst von Politikern wie Herrn Franz oder ähnlichen Herrschaften – frauenpolitische Organisationen, Beratungseinrichtungen und autonome Feminist*innen kämpfen seit Jahrzehnten dafür, das Thema Gewalt (ganz egal, von wem ausgeübt) begleitet die Frauenbewegungen seit ihrer Entstehung. Trotz harten Gegenwinds und mit der Unterstützung einiger (Frauen-)PolitikerInnen wurde das Thema aus dem Privatraum in die Öffentlichkeit geholt, Frauenhäuser und Beratungseinrichtungen gegründet – und letztendlich auch Gesetze angepasst und verbessert. Die Expertise dafür lieferten und liefern unter anderem kluge Juristinnen, und das oft ehrenamtlich in ihrer Freizeit.

Menschen wie Herr Franz oder FPÖ-PolitikerInnen, die meinen, dass „Frauenhäuser Ehen zerstören“ würden, haben tatsächlich so wenig Schamgefühl, dass sie nach Ereignissen wie jenen in Köln in die Öffentlichkeit treten und verlautbaren, Feministinnen würden das Problem totschweigen. „Wo bleibt der #Aufschrei jetzt?“, wird da unter anderem gefragt. Mal abgesehen davon, dass Feministinnen sich nicht auf Zuruf über ein Thema empören müssen, das sie seit Jahrzehnten mühevoll beackern, fällt es unter die Kategorie Verschwörungstheorie, wenn da behauptet wird, sexuelle Gewalt, die von Migranten ausgeht, würden Feministinnen verleugnen oder gar gutheißen. Vielleicht ist es tatsächlich so, dass in derartigen Fällen vorsichtiger kommuniziert wird, auch ich habe mich ein wenig darüber gewundert, warum im feministischen Umfeld die Vorfälle in Rotherham kaum Thema waren. Antirassismus und Feminismus dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, schreibt dazu Natascha Strobl. Die Phantasien der feministischen Verleugnung sind aber in jedem Fall Unsinn.

Herr Franz und seine Kollegen hingegen sind ganz vorne dabei, wenn es um das Leugnen von rape culture geht. Was wäre eigentlich passiert, wenn nicht Marcus Franz, sondern der Vertreter einer muslimischen Organisation öffentlich verkündet hätte, dass er seine Frau durchs Pograpschen kennengelernt habe und die Frauen sich nicht so aufregen sollten? Hätte er – vielleicht zusammen mit einem anderen Vertreter einer muslimischen Organisation, der der Meinung ist, dass starke Frauen sich doch eh selbst wehren könnten – auch ein „Im Zentrum“ Spezial bekommen? Ja, das waren schon „Herrenwitze zum Totlachen“, wie Colette M. Schmidt im „Standard“ schrieb, eine richtig zünftige Debatte. Puls 4 handelte das Thema übrigens unter dem Titel „Pograpschen, Hymnenstreit, Rollenbilder – Kommt der Aufstand der Konservativen?“ ab und fragte: „Welche Werte brauchen wir?“ „Harmloses“ Grapschen ist ein österreichischer Wert, hätte man da meinen können.

Warum so viele Frauen sexuelle Gewalt nicht anzeigen, hängt übrigens nicht nur damit zusammen, dass sie sich schämen (oft kommen die Täter aus dem nahen Umfeld), sondern auch damit, dass sie Angst davor haben, dass ihnen nicht geglaubt wird. (Vielleicht hat es nach der Silvesternacht in Köln auch deshalb so viele Anzeigen gegeben, weil die Betroffenen gesehen haben, dass es gesellschaftlich anerkannt wird, dass sie massives Unrecht erfahren haben.) Mediale Debatten, wie sie im Frühjahr vergangenen Jahres  stattgefunden haben, tragen dazu bei, ein Klima zu schaffen, in dem Opfer nicht ernstgenommen werden. In dem es noch immer „Kavaliersdelikte“ gibt und Frauen, die eben nachts nicht alleine auf die Straße gehen sollten. Sexuelle Gewalt ist kein Problem, das wir „importiert“ haben und keines, das wir abschieben können. Was es aber braucht, um das Problem nachhaltig zu bekämpfen, kann zum Beispiel hier sehr gut zusammengefasst nachgelesen werden, eine umfassende Studie zu Gewalt gegen Frauen in 28 EU-Staaten (die medial leider wenig Beachtung fand und nicht zu Diskussionsrunden motivierte) ist hier zu finden.

Link: Frauenhelpline gegen Gewalt

Blog reloaded

B

Wie euch vermutlich nicht entgangen ist, habe ich in den letzten ein bis zwei Jahren kaum noch gebloggt – zumindest kaum eigens für den Blog verfasste Texte gepostet. Nachdem ich das Bloggen aber vermisse und mir hin und wieder ein Platz für meine Gedanken (insbesondere zu Themen der Frauenpolitik) fehlt, starte ich den Versuch, die Denkwerkstatt neu zu beleben.

Wir werden sehen, ob ich es trotz Zeitnot schaffe, diesen Vorsatz durchzuhalten. Aber ich beginne jetzt einfach mal – mit einer kleinen frauenpolitischen Serie. Auf die Idee gebracht hat mich FeministMum mit ihrer einstigen Montagspost. Ich traue mich zwar keinen Wochentag und keine exakte Frequenz festzulegen, aber mindestens 1 x pro Monat ist mein Ziel für 2016. Ich hoffe wir lesen uns!

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